Safranski will Debatte über Migration in die Mitte holen
Wien (APA) - Der Diskurs über Migration soll in der Mitte der Gesellschaft stattfinden. Das hat der deutsche Philosoph Rüdiger Safranski am ...
Wien (APA) - Der Diskurs über Migration soll in der Mitte der Gesellschaft stattfinden. Das hat der deutsche Philosoph Rüdiger Safranski am Mittwochabend bei einer Veranstaltung des Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) in Wien gefordert. Es sei notwendig, dass Pro und Contra den selben Standard haben und Kritiker nicht stigmatisiert werden, sagte er im Gespräch mit dem Journalisten Michael Fleischhacker.
Werde die Debatte den Rändern überlassen oder zu stark moralisiert, könne das zu Gegenreaktionen und zu einem Erstarken der Extreme führen. Unter den Menschen der europäischen Aufnahmegesellschaften gäbe es bei Thema Zuwanderung rationale und irrationale Ängste, so der Schriftsteller.
Auf der einen Seite stehe die Befürchtung, dass der Sozialstaat an seine Grenzen gebracht werde und zu erodieren drohe. In den einkommensschwächeren Schichten herrsche zudem die Besorgnis wegen neuer Konkurrenz am unqualifizierten Arbeitsmarkt und beim Wohnraum vor. Auf der anderen Seite gäbe es Panik vor dem Verlust der eigenen Identität und Kultur, erklärte der Literaturwissenschaftler.
Hat doch in den vergangenen Dekaden ein Wertewandel stattgefunden, der zu einer sukzessiven Individualisierung geführt habe. Das Eigene werde nicht mehr über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation, sondern oft über Lebensgewohnheiten, Ernährung oder Sexualität definiert. Denn schließlich führte die Überhöhung dieses Nationalbewusstseins in die Urkatastrophen des 20. Jahrhunderts und sei damit verpönt. Auf einmal kommen da aber Fremde, für die sich die Frage der Identität überhaupt nicht stelle, die sich über gemeinsame Herkunft, Kultur und Religion definieren und im Kollektiv denken und handeln würden, was zu irrationalen Ängsten führe.
Safranski plädiert nicht nur wegen der großen Zahl für eine Limitierung der Migration, da offene Grenzen und Sozialstaat ein Widerspruch in sich seien. Ein funktionierendes Sozialsystem setze aber den Nationalstaat voraus, funktioniere das Umlagesystem doch wie ein geschlossener Verein. „Die Bürger zahlen ein und im Bedarfsfall werden sie versorgt.“ Gewiss gäbe es die Möglichkeit, Menschen, die noch nie etwas eingezahlt haben, darin aufzunehmen, was aber nicht unbegrenzt möglich sei. Hier sollte der Grundsatz der Bedürftigkeit gelten und genau geschaut werden, wer da eigentlich komme.
Damit Integration funktionieren kann, fordert der 74-Jährige gemischte Kindergärten, damit ehestmöglich die Sprache erlernt werden könne, da diese maßgeblich für die Teilung des Lebenszusammenhangs und den Abbau von Fremdheit sei. Gelinge die Durchmischung nicht, drohe die Segregation, so Safranski. „Am gemeinsamen Leben teilnehmen lernen“, nicht Verfassungspatriotismus sollten das Ziel sein. Denn abstrakte Normen wie das Grundgesetz können ein Gerüst für das gemeinsame Leben sein, aber nicht sinnstiftend wirken, urgiert der Philosoph.