Diagonale 2019 - Peter Brunner und „der Körper als letzter Schrei“

Graz/Wien (APA) - Regisseur Peter Brunner präsentierte heute Abend mit „To the Night“ seinen ersten englischsprachigen Film auf der Diagonal...

Graz/Wien (APA) - Regisseur Peter Brunner präsentierte heute Abend mit „To the Night“ seinen ersten englischsprachigen Film auf der Diagonale 2019. Das Künstlerporträt mit Indiestar Caleb Landry Jones („Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“) hatte zuvor seine Weltpremiere in Karlovy Vary.

Am Rande des tschechischen Festivals erklärte der 1983 geborene Wiener der APA, weshalb für ihn der Körper nach wie vor der letzte Schrei im 21. Jahrhundert ist, wie Leerstellen in ein kreatives Werkzeug verwandelt werden können und die Vorteile der Arbeit als Regisseur in einer Fremdsprache.

APA: „To the Night“ ist Ihr erster Langfilm auf Englisch. Hat der Dreh in einer fremden Sprache Ihnen eine gewisse Freiheit, eine Distanzierung im positiven Sinne ermöglicht, oder barg das auch Hürden?

Peter Brunner: Im Prinzip waren die Leerstellen, die manchmal durch die Sprachbarriere entstanden sind, für uns eine kreatives Werkzeug. Ein Werkzeug, um den Prozess beim Machen von der Intellektualisierung weg in den Körper zu hieven, zwangsläufig, um im Moment zu sein. Das lag vor allem an der bandartigen Atmosphäre und der Offenheit der Darstellerinnen und Darsteller, die, wenn ich ins Deutsche gekippt bin, dies emotional interpretiert haben und sich an meiner Melodie orientierten. Oft haben wir keine Worte gebraucht, aber das hat auch unsere lange Vorbereitungszeit bedingt, in der wir uns eingestimmt haben. Natürlich war die Arbeit in einer fremden Sprache auch mühsam, aber da gab es dann immer Unterstützung von meiner kreativen Mitarbeiterin Klara Veegh, die Englisch studiert hat.

APA: Sie haben mit Caleb Landry Jones gedreht, der ja spätestens seit „Three Billboards“ einen absoluten Lauf hat. Wie unterschiedlich gestaltete sich hier die Arbeit im Vergleich zu Schauspielern in Österreich?

Brunner: Das Herangehen war im Prinzip ähnlich wie mit anderen Darstellern und Darstellerinnen, mit denen ich bisher arbeiten konnte. Da Caleb wie ich auch ein Musiker ist, hatten wir sehr schnell einen universellen Kontakt und unsere eigene Sprache. Es hat sich oft so angefühlt, als würden wir an einem Album oder einem Song arbeiten, auf ein Konzert hin und für eine Melodie. Ich habe Lichtjahre an Respekt vor Calebs außergewöhnlichem Talent und dem Mut, sich in derartig widersprüchliche Figuren einzufühlen und sie wieder abzulegen. Marlon Brando warnte im Bezug auf Schauspieler und die Vielzahl an Rollen, die sie spielen: „We only have so many faces in our pockets.“ Bei Caleb mache ich mir da keine Sorgen, sondern habe ich das Gefühl, dass er eine ganze Kleinstadt im Ärmel hat.

APA: Sie stellen bei „To the Night“ einen Künstler ins Zentrum. Die Frage drängt sich auf: Gibt es Parallelen zu Ihnen selbst?

Brunner: Norman, wie auch alle anderen Figuren in „To the Night“, teilen natürlich Aspekte von Erfahrungen und Gefühlen, die ich erlebt habe, aber das ist auch notwendig, um einen persönlichen Film zu machen, der zu einem Publikum sprechen soll, der ein Dialog sein kann. Es geht mir weniger um den „Künstler“, als das kreative Potenzial, das wir als Individuen haben, um in der Not Überlebensstrategien zu finden. Die bildende Kunst ist hier ein Rahmen für die Suche nach Vertrauen, Akzeptanz und Liebe.

APA: In all Ihren bisherigen drei Langfilmen stehen Charaktere im Zentrum, die lädiert sind. Kurt ist unheilbar krank, Kati hat Asthma, Norman eine Psychose. Können Sie Ihr Interesse daran erklären?

Brunner: Der Mensch, der mit seinem Körper im Streit liegt, die Narration des Körpers und die Beziehung zum eigenen Körper stellen für mich ein umfassendes und extrem aktuelles Thema dar. Auch die Beziehung zu anderen Menschen, die Beziehung zur Welt, basierend auf der Idee, dass wir lebendige Menschen in einer physischen Welt sind. Ich denke nach wie vor, dass der Körper der letzte Schrei im 21. Jahrhundert ist und es gefährlich wäre wegzuhören. Wir leben in einer Welt, in der wir viele Kausalitäten nicht mehr begreifen können und uns stattdessen auf Technologien verlassen. Wollen wir, dass uns intelligente Algorithmen sagen, wann wir den Klogang verrichten sollen und uns lieben sollen? Was unterscheidet uns von diesen idealisierten Eispalastfantasien? Dass wir leiden können und Gefühle haben? Mir geht es um ein elementares und ekstatisches Fühlen.

APA: Sie haben auch für „To the Night“ wieder als Drehbuchautor gearbeitet. Ist es nicht auch schwierig, wenn Sie in Ihrer jeweiligen Rolle gleichsam keinen Sparringspartner haben - als Regisseur also nicht in den kreativen Dialog mit dem Drehbuchautor gehen können und umgekehrt?

Brunner: Während der Arbeit an „To the Night“ hatte ich in Veronika Franz eine sehr enthusiastische und genaue dramaturgische Beraterin. Das Drehbuch ist in meinen Filmen aber nie festgelegt und starr, sondern bis in den Schnitt hinein am Leben. In der Erarbeitung des Films ist mir vor allem auch eine lange Figurenarbeit mit den Schauspielern und Schauspielerinnen wichtig, in der wir durch ihre Augen die Geschichte neu interpretieren. Hierbei geht es nicht um Improvisation. Die Arbeit der Neuinterpretation hat oft viel mit einem Sparringmatch zu tun, weil es in unserer Arbeit keinen machiavellischen Plan gibt. Wir versuchen im Sinne Cassavetes‘ in einer Gleichberechtigung zu arbeiten.

APA: Wie sehen Ihre Zukunftspläne als Filmemacher aus? Zieht es Sie in den angelsächsischen Bereich oder möchten Sie eher am deutschsprachigen Markt reüssieren?

Brunner: Im Grunde hängt das von der Geschichte und den Möglichkeiten ab, sie machen zu dürfen. Ich arbeite an unterschiedlichen Stoffen, und da ich die Arbeit mit Schauspielern und Schauspielerinnen liebe, gibt es neben Caleb Landry Jones generell viele talentierte Menschen, mit denen ich sehr gerne arbeiten würde. Derzeit arbeite ich mit der Ulrich Seidl Film an der Realisierung meines neuen Langfilms „Die gespaltenen Zunge“.

(Die Fragen stellte Martin Fichter-Wöß/APA)