Unterhaus-Abgeordneter: Brexit-Deal hat nur ohne May Erfolgs-Aussicht
Wien (APA) - Für den konservativen, britischen Unterhaus-Abgeordneten Tom Tugendhat kann ein Brexit-Deal nur ohne Premierministerin Theresa ...
Wien (APA) - Für den konservativen, britischen Unterhaus-Abgeordneten Tom Tugendhat kann ein Brexit-Deal nur ohne Premierministerin Theresa May zustande kommen. „Wenn sie geht, besteht die Chance, dass der Deal angenommen wird. Wenn sie bleibt, ist die Chance jedoch sehr gering“, sagte er am Sonntag in Wien im Gespräch mit der APA.
„Ich wäre sehr überrascht, wenn die Premierministerin in zwei Wochen noch im Amt ist“, fuhr er fort. Grund für diese Annahme sei die verbreitete Befürchtung, dass May nach einer erfolgreichen Abstimmung über das bestehende Abkommen auch die weiteren Verhandlungen mit der EU leiten würde. „Das wollen nur sehr wenige Menschen in Großbritannien“, erklärte Tugendhat, der sich anlässlich seiner Teilnahme an der Diskussionsreihe „Europa im Diskurs“ in Österreich aufhielt. „Für viele meiner Kollegen ist das eine Schlüsselfrage, und ich denke nicht, dass sie ohne fundamentalen Wechsel ihre Meinung ändern werden“, analysierte er.
Wer May ersetzen könnte, sei offen. „Ich tippe auf (Umwelt- und Ernährungsminister, Anm.) Michael Gove“, sagte Tugendhat, dessen Familie in den 1930er Jahren aus Wien nach Großbritannien geflüchtet war. „Ich denke, dass sich (der ehemalige Außenminister, Anm.) Boris Johnson in den letzten Jahren sehr diskreditiert und seine Inkompetenz bewiesen hat“, fuhr er hinsichtlich einer möglichen May-Nachfolge fort. Andere mögliche Kandidaten seien der Brexit-Befürworter Dominic Raab und der frühere Justizminister und Lordkanzler David Lidington. „Aber das sind Vermutungen“, sagte er.
„Ich habe bereits zwei Mal für den Deal gestimmt und werde es auch ein drittes Mal tun“, kündigte Tugendhat an. Dennoch stehe man besonders im Hinblick auf die Nordirland-Frage noch vor großen Herausforderungen. Der Backstop sei jedoch keine davon. „Es ist auch völlig klar, dass der Backstop nur als temporäre Lösung dienen kann und ernste Hindernisse für die EU und Großbritannien mit sich bringt“, analysierte er.
Trotz des milliardenschweren ökonomischen Schadens für Großbritannien und die EU durch den Brexit, der laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung selbst im Falle eines geordneten Austritts anfallen würde, ist die Möglichkeit, das Austrittsverfahren zu beenden, für den Abgeordneten keine Option. „Es würde eine massive Spaltung herbeiführen“, erklärte er. „Millionen haben demonstriert und Petitionen unterzeichnet und vor einigen Jahren haben Millionen Menschen 2016 beim Referendum abgestimmt. (...) 2017 wurde das Unterhaus gewählt und die beiden großen Parteien haben versprochen, die Entscheidung der Menschen umzusetzen“, so Tugendhat weiter. Bisher habe er niemanden getroffen, der damals für den Austritt gestimmt habe und nun seine Wahl bereue.
„Der Brexit hat gezeigt, dass die Regierungsstruktur in Großbritannien eine umfassende Aktualisierung benötigt. Viele Menschen fühlen sich nicht repräsentiert und nicht gehört“, erörterte Tugendhat. Dies treffe auch auf viele EU-Staaten zu, in denen darum rechtspopulistische Parteien großen Zuspruch erhielten. Viele Menschen seien skeptisch gegenüber „supranationalen Entitäten“ wie der EU und der Globalisierung. „Die Menschen müssen die Kontrolle über ihr Leben behalten und die Entscheidungen, die sie treffen, auch verstehen“, sagte er.
„Die Herausforderung für die EU ist nicht der Brexit“, erklärte der Politiker. „Die echte Herausforderung sind diejenigen Staaten, die in der EU bleiben, aber die Regeln verspotten. (...) Die Versuche, das zu sanktionieren, werden von anderen Mitgliedsstaaten mit Vetos verhindert, die sich genauso verhalten“, sagte er.
(Das Interview führte Martin Auernheimer/APA)