Brexit - Das Leben nach dem No Deal

London (APA/AFP) - Im Brexit-Streit in Großbritannien zeichnet sich weiter keine Lösung ab. Das britische Unterhaus konnte sich am Montagabe...

London (APA/AFP) - Im Brexit-Streit in Großbritannien zeichnet sich weiter keine Lösung ab. Das britische Unterhaus konnte sich am Montagabend erneut auf keine Alternative zum Austrittsabkommen einigen. Schon am 12. April droht ein ungeregelter Austritt Großbritanniens aus der EU. Wie hat sich das Land auf den sogenannten No-Deal-Brexit vorbereitet? Ein Überblick:

WIRTSCHAFT

Rund 80 Prozent der britischen Unternehmen sind nach eigener Einschätzung für einen Austritt ohne Abkommen gerüstet, wie aus einer Umfrage der Bank of England vom 21. März hervorgeht. Im Jänner waren es demnach nur die Hälfte. Gleichzeitig warnen viele Firmen, dass sie die möglichen Auswirkungen durch Zollbestimmungen, Grenzkontrollen, Wechselkurse und Verwaltungsaufwand auf ihre Geschäfte nicht unter Kontrolle haben.

Nach Regierungsangaben vom Februar waren lediglich 40.000 von 240.000 Unternehmen, die Handel ausschließlich mit der EU treiben, bereits im Besitz der erforderlichen Zollzertifikate.

HANDEL

Großbritannien wird unter einem No-Deal-Szenario bei den Handelsbeziehungen künftig wie ein Drittstaat behandelt. Damit unterliegt der Handel mit dem Königreich den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO).

Während die Zölle für Einfuhren aus Drittstaaten im Großen und Ganzen für viele Waren recht niedrig sind - sie liegen bei rund 1,5 Prozent -, sind sie in einigen Bereichen hoch: auf Autos etwa werden zehn Prozent erhoben.

Großbritannien wird zudem den Zugang zu einigen großen Märkten verlieren, zu denen EU-Handelsabkommen bestehen. Mit einigen Ländern wie Israel oder der Schweiz konnte London allerdings bilaterale Abkommen schließen.

GRENZKONTROLLEN

Bei einem No Deal würde die EU mit sofortigen Grenzkontrollen beginnen: Zollkontrollen, Überprüfungen der Lebensmittelsicherheit und von EU-Normen hätten lange Wartezeiten an der Grenze zur Folge. Großbritannien hat bereits Vorsorge getroffen und neue Verbindungen zwischen Häfen geöffnet, um den Hafen von Dover zu entlasten.

Lebensmittelengpässe sind laut der Regierung nicht zu erwarten. Allerdings könnte es zu einer Verknappung von verderblichen Produkten kommen. Politiker warnten bereits vor sogenannten Hamsterkäufen.

NORDIRLAND

Die Grenze nach Irland ist einer der Knackpunkte bei den Brexit-Verhandlungen und beim Streit im Unterhaus. Großbritannien will nicht unmittelbar mit Zollkontrollen an der Grenze zu Irland beginnen, um neue Spannungen in der konfliktreichen Provinz Nordirland zu verhindern. Die EU will den Warenverkehr an ihrer neuen Außengrenze jedoch überwachen, wenn auch möglichst zurückhaltend.

Nordirland könnte zudem eine Direktverwaltung durch London drohen, um die No-Deal-Auswirkungen beherrschbar zu machen. Die zerrüttete Regierung in Belfast, die im Streit über die Machtteilung scheiterte, ist seit Jänner 2017 suspendiert.

EU-BÜRGER

Rund 3,5 Millionen EU-Bürger leben in Großbritannien, etwa eine Million Briten haben ihren Wohnsitz irgendwo in der EU. Großbritannien und zahlreiche EU-Staaten haben zugesagt, ihre Rechte zu schützen. Langfristig ist ihr Status jedoch weiterhin diffus. Briten wird künftig bei Einreise in die EU ein Aufenthaltsrecht von 90 Tagen gewährt. Die Passkontrollen werden jedoch umgehend schärfer.

FINANZEN

Für den Finanzmarkt wurden Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um Turbulenzen vorzubeugen; darunter fällt insbesondere der Derivate-Handel. Bisher wurde der Handel mit Derivaten über das Euro-Clearing hauptsächlich an der Londoner Börse abgewickelt. Hier gilt ein einjähriges Moratorium.

Sollten die Geschäfte später in die EU wandern, würde dies zudem zehntausende Arbeitsplätze in London gefährden. Der EU-Derivatemarkt hatte im vergangenen Jahr ein Volumen von 660 Billionen Euro.

MEDIZIN

Britische Apotheken sollen auf Anweisung der Behörden verschreibungspflichtige Medikamente aus der EU für sechs Monate bevorraten. Arzneimittelprodukte sollen bei Importen Vorrang genießen.

VERKEHR

Die EU erlaubt Flüge aus Großbritannien in alle dann 27 Mitgliedstaaten bis März 2020 - unter der Bedingung von Gegenseitigkeit. Ein ähnliches zeitlich begrenztes Zugeständnis gilt für Lastwagenfuhren.

Die Hochgeschwindigkeitsverbindung für Züge durch den Kanaltunnel zwischen Frankreich und der Insel soll zunächst für drei Monate offen bleiben, vorausgesetzt London hält sich an die Sicherheitsstandards des EU-Bahnverkehrs.