Soap&Skin: Eros spielt mit Thanatos
Die österreichische Musikerin Anja Plaschg alias „Soap&Skin“ zeigte bei ihrem Tourauftakt im Wiener Konzerthaus, dass sie nicht leiden muss, um beim Publikum große Gefühle zu erzeugen.
Von Barbara Wohlsein
Wien –Ob Andreas Gabalier der Name Anja Plaschg vor zwei Monaten ein Begriff war, ist fraglich. Jetzt kennt er ihn – und zwar deshalb, weil die Musikerin auf Instagram ankündigt hat, aus Protest gegen ihn nicht an den Amadeus Austrian Music Awards am 25. April teilzunehmen. Sie wolle nicht in derselben Kategorie (Album des Jahres) wie ein Künstler nominiert sein, dessen Erfolg auf der Kommerzialisierung eines „reaktionären, nationalistischen, chauvinistischen und sexistischen Lebenskonzepts“ basiere, so die Begründung.
Das Phänomen Soap&Skin ist mindestens so spannend wie die Frau dahinter. Als Anja Plaschg vor zehn Jahren als 19-Jährige ihr Debüt „Lovetune for Vacuum“ veröffentlichte, wurde sie innerhalb von kürzester Zeit zum Kritikerliebling. Der Stempel „Wunderkind“ ließ nicht lange auf sich warten. 2012 folgte das düstere Nummer-1-Album „Narrow“, auf dem Plaschg den Tod ihres Vaters verarbeitete. Dann wurde es ruhiger um die gebürtige Steirerin, sie konzentrierte sich auf Kunstprojekte, spielte in einem Film von Ruth Beckermann die junge Ingeborg Bachmann und komponierte den Titelsong der deutschen Netflix-Serie „Dark“. Im Oktober 2018 erschien nach sechs Jahren Pause ihr drittes Album „From gas to Solid / you are my friend“. Mit diesem Album geht Plaschg nun auf Europatournee, das Auftaktkonzert fand am Mittwoch im Wiener Konzerthaus statt.
Der ausverkaufte Große Konzertsaal ist mit seiner Opulenz und Akustik die ideale Bühne für die Theatralik, die Soap&Skin seit den Anfängen auszeichnet. Für die Live-Version von „From gas to Solid / you are my friend“ hat Anja Plaschg Unterstützung mitgebracht, acht Musiker stehen gemeinsam mit ihr auf der Bühne. Plaschg führt ihr kleines Kammerorchester wie eine Dirigentin durch den Abend, wenn sie nicht am Klavier sitzt, steht sie mit dem Rücken zum Publikum und wiegt ihre Arme im Takt.
Als Live-Musikerin ist die 29-Jährige eine Naturgewalt, ihre Stimme erfüllt den Konzertsaal ohne jegliche Anstrengung, wenn sie flüstert oder schreit, scheint der ganze Raum den Atem anzuhalten. Bei den mehrstimmigen Passagen, die so typisch sind für den melancholischen Soap&Skin-Sound der frühen Jahre, singt ihre Schwester Evelyn mit. Und es gibt auch Hoffnung: Das neue Album ist längst nicht mehr so düster und von Leiden und Verlust geprägt wie sein Vorgänger.
Auf das todtraurige „Vater“ aus 2012 lässt Soap&Skin den neuen Song „Italy“ folgen, der mit seinem eingängigen Refrain ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Dazu gibt’s Dolce Vita aus der Steckdose in Form von warmen Lichtstrahlen, die den Konzertbesuchern ins Gesicht leuchten.
Jedes Leiden ist temporär, würden die Buddhisten sagen. Der Lebenstrieb Eros hat den Todestrieb Thanatos, den Soap&Skin auf „Lovetune for Vacuum“ besungen hat, besiegt, so scheint es. Diesen Eindruck bestätigen auch die Songs „Heal“ und „Surrounded“, die eine Wärme und Offenheit ausstrahlen, die man bis dato noch nicht kannte.
Anja Plaschg selbst wirkt auf der Bühne selbstbewusst und gelöst. Ihre Wortkargheit, die in Fernsehinterviews oft zu peinlicher Stille führt, hat sie nicht abgelegt, doch auf der Bühne ist sie Performerin und kann sich anderweitig ausdrücken. Gegen Ende des Konzerts steht sie frontal und ohne Instrument vor dem Publikum und tanzt mit stilsicherer Coolness zu ihrer Interpretation von „Gods and Monsters“ von Lana Del Rey.
Ihr Faible für Drama und große Gesten lebt sie bei der Zugabe aus, für die sie die erhöhte Orgel des Wiener Konzerthauses erklimmt, auf ihr spielt und später sogar auf ihr steht. Zum Abschluss gibt es Soap&Skins Coverversion von „What A Wonderful World“, die Plaschg sitzend, mit dem Rücken zum Publikum, im Kreis ihrer Musiker vorträgt. Es folgen Standing Ovations und ein Strauß Tulpen. Nach diesem Wechselbad der Gefühle ist beides mehr als verdient.