Zum Geburtstag viel Druck: USA vereinnahmen NATO-Jubiläum
Washington (dpa) - Für einen Moment wirkt es so, als sei nichts gewesen: Kein Streit um Prozentzahlen bei den Verteidigungsausgaben und kein...
Washington (dpa) - Für einen Moment wirkt es so, als sei nichts gewesen: Kein Streit um Prozentzahlen bei den Verteidigungsausgaben und keine Diskussionen über Gasleitungen oder Raketenabwehrsysteme aus Russland.
Als die Außenminister der 29 NATO-Mitglieder sich am Mittwochabend im monumentalen Andrew W. Mellon Auditorium in Washington zum Geburtstagsfoto zusammenstellen, um 70 Jahre Bündnisgeschichte zu feiern, versuchen alle gute Mine zu machen.
Der goldverzierte Saal, in dem am 4. April 1949 der Nordatlantikvertrag unterzeichnet wurde, ist in warmes Licht gehüllt und US-Außenminister Mike Pompeo lobt das Bündnis neben NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg als „umwerfend erfolgreiche Allianz“. Er wolle mit den Partnern sicherstellen, dass die NATO auch in Zukunft als Schutzschild und Bollwerk funktionieren könne, sagt er. So wie es die Gründungsväter um den damaligen US-Präsidenten Harry Truman es sich vorgestellt hatten. Der deutsche Chefdiplomat Heiko Maas steht gleich hinter Pompeo und verfolgt die Rede lächelnd.
Ein anderer Auftritt liegt da gerade einmal ein paar Stunden zurück. Am Nachmittag hatte US-Vizepräsident Mike Pence keine Zweifel daran gelassen, dass die ungemütlichen Zeiten für die europäischen Verbündeten noch lange nicht vorbei sind. Unter dem Strich machte der Stellvertreter von Donald Trump unmissverständlich klar, dass die Verbündeten sich in Zukunft nur dann auf Unterstützung verlassen können, wenn sie die Bedingungen der USA akzeptieren.
Nach diesem Prinzip bestimmen die USA, wie viel Geld die Alliierten für Verteidigung ausgegeben müssen (mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts), von wem sie Waffen und Gas kaufen sollen (nicht von Russland, sondern von den USA) und wer der neue große Gegner ist (China). Dass Deutschland an dem russisch-deutschen Gasleitungsprojekt Nord Stream 2 festhalte, sei „schlicht und einfach inakzeptabel“ und könne Deutschland zum Gefangenen Russlands machen, kritisierte Pence. Zudem müsse Deutschland spätestens 2024 nicht nur die versprochenen 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben, sondern zwei Prozent.
Maas versucht in Washington, möglich gelassen auf die Attacken zu reagieren und spult die ganze Palette der bekannten Rechtfertigungen herunter. Von Krise will er nichts wissen. „Es ist nicht so, dass diese Debatte hier in irgendeiner Weise unversöhnlich geführt wird“, sagt er. „Die NATO ist eine große multilaterale Erfolgsgeschichte, daran hat auch Deutschland seinen Anteil.“
Dass Deutschlands Finanzminister Olaf Scholz wenige Tage vor dem NATO-Jubiläum die Ausgaben für die Bundeswehr in der mittelfristigen Finanzplanung wieder zurückgeschraubt hat, hat seinen Auftritt bei dem NATO-Treffen noch einmal erschwert. Dazu hat er sich einen bemerkenswerten Satz zurechtgelegt: „Ich weiß, unser Haushaltsverfahren ist für Außenstehende manchmal schwer zu verstehen - und glauben Sie mir: wahrlich nicht nur für Außenstehende.“ Dann fügt er hinzu: „Aber wir haben uns klar dazu bekannt, mehr Geld in Verteidigung zu investieren, und wir halten Wort.“
Heißt das nun: Die mittelfristige Planung sei nicht so ernst zu nehmen? Die Bundesregierung beruft sich darauf, dass die tatsächlichen Ausgaben immer höher liegen würden, als die auf Nummer sicher gehende Planung. Dass ein solcher Beschwichtigungsversuch bei den Verbündeten große Wirkung entfaltet, dürfte aber zumindest fraglich sein.
Noch harschere Töne als Deutschland muss sich lediglich die Türkei anhören, die sich entschieden hat, ein Raketenabwehrsystem von Russland zu kaufen. „Die Türkei muss wählen: Will sie ein entscheidender Partner des erfolgreichsten Militärbündnisses der Weltgeschichte bleiben, oder will sie die Sicherheit dieser Partnerschaft riskieren, indem sie unverantwortliche Entscheidungen trifft, die dieses Bündnis untergraben?“, droht Pence. Eine Allianz von gleichberechtigten Partnern - das ist wohl etwas anderes.
Die NATO und die europäischen Alliierten stecken allerdings in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite wissen sie, dass die USA zu Recht mehr Eigenverantwortung bei der Verteidigung fordern. Auf der anderen Seite stellt sich aber die Frage, wie die NATO in Zukunft funktionieren soll, wenn die Politik des wichtigsten Mitglieds auf dem Bauchgefühl des Präsidenten und knallhartem Machtkalkül beruht.
Teil von letzterem ist, dass sich die USA immer stärker in Richtung China konzentrieren, weil sie in der wirtschaftlich und militärisch aufstrebenden Volksrepublik eine wesentliche größere Gefahr für ihre Interessen sehen als in einem Russland, das zwar immer noch viele Atomwaffen, aber nicht einmal die Wirtschaftskraft Italiens hat.
China sei die „vielleicht größte Herausforderung“ für die NATO, stellte Pence zur Jubiläumsfeier die US-Sicht klar und kritisierte das europäische Interesse an chinesischer Technologie für den Ausbau des schnellen 5G-Mobilfunknetzes und die sogenannte Seidenstraßen-Initiative, über die China zum Beispiel in Häfen und andere Infrastruktur in Europa investieren will.
In NATO-Ländern wie Italien, Frankreich und auch Deutschland dürften solche Äußerungen den Eindruck verstärken, dass es der aktuellen US-Regierung weniger um Sicherheit als um ihre Stellung als militärische und wirtschaftliche Supermacht geht. Ganz abgesehen davon, dass man dort China eher als möglichen sicherheitspolitischen Kooperationspartner, denn als militärischen Gegner sehen will.
Öffentliche Gegenwehr suchte man beim Auftakt des NATO-Treffens allerdings vergeblich. Generalsekretär Jens Stoltenberg erinnerte in seiner Rede vor dem US-Kongress lediglich vorsichtig daran, dass die USA Europa als Plattform für ihre weltweiten Einsätze bräuchten und dass das Bündnis auch aus anderen Gründen gut für die USA sei. „Die Stärke einer Nation misst sich nicht nur an der Größe ihrer Wirtschaft. Oder an der Zahl ihrer Soldaten. Sondern auch an der Zahl ihrer Freunde“, sagte der Norweger. Viele Freunde und Partner in der NATO zu haben, habe die USA stärker und sicherer gemacht.
Ob Trump das genauso sieht, darf allerdings bezweifelt werden. Dafür spricht zumindest, dass er den Europäern zuletzt immer wieder vorgeworfen hat, die USA auszunutzen. Und vielleicht auch, dass er zur Jubiläumszeremonie nicht persönlich erschien. Aus Angst, dass Trump die USA aus der NATO führen könnte, hat das von Demokraten kontrollierte Repräsentantenhaus im Jänner sogar einen Gesetzentwurf verabschiedet, der Trump diesen Weg erschweren soll. Problem ist nur, dass sich ein mögliches Veto von Trump dagegen nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in beiden Kongresskammern überstimmen ließe.
Hoffnung der NATO kann derzeit deswegen nur sein, dass Trump im Herbst kommenden Jahres nicht wiedergewählt wird. „Die internationale Ordnung übersteht vier Jahre Trump, auch wenn sie nicht mehr so wie vorher sein wird“, sagte jüngst Ben Rhodes, einer der wichtigsten Berater von Ex-Präsident Barack Obama, der Fachzeitschrift „IP“. „Aber acht Jahre Trump würden alles auf den Kopf stellen, von amerikanischen Bündnissen bis hin zu internationalen Institutionen.“
~ WEB http://www.nato.int/ ~ APA516 2019-04-04/19:39