Brexit: Druck auf May steigt - Neue britische Pässe ohne EU-Hinweis
London (APA/dpa/Reuters) - Drei Tage vor dem EU-Sondergipfel geht das Hauen und Stechen um den Brexit weiter: Premierministerin Theresa May ...
London (APA/dpa/Reuters) - Drei Tage vor dem EU-Sondergipfel geht das Hauen und Stechen um den Brexit weiter: Premierministerin Theresa May droht in ihrer eigenen Partei eine Zerreißprobe. Die regierenden Konservativen und die oppositionelle Labour-Partei kommen bei der gemeinsamen Suche nach einem Weg aus der Brexit-Sackgasse nicht voran.
Etwa 80 Labour-Abgeordnete forderten ihren Chef Jeremy Corbyn in einem Brief auf, ein zweites Referendum zu garantieren, falls ein Kompromiss mit May doch noch zustandekommen sollte.
May steht zudem unter massivem Druck, die beantragte Verlängerung der Frist für den Austritt aus der Europäischen Union stichhaltig zu begründen. Denn am kommenden Mittwoch wollen die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer bei ihrem Sondergipfel in Brüssel über die Fristverlängerung entscheiden.
Eine Teilnahme Großbritanniens an der Europawahl Ende Mai könnte vielen Menschen angesichts des Brexits nicht vermittelt werden, kritisierten Tory-Politiker. „Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, das wäre der Abschiedsbrief für die konservative Partei“, sagte am Samstag Bildungsstaatssekretär Nadhim Zahawi dem Sender BBC. Konservative warnen laut der Zeitung „The Telegraph“ auch vor einem „katastrophalen Schaden“ bei den Kommunalwahlen am 2. Mai im Land.
Die Labour-Partei zeigte sich enttäuscht vom bisherigen Verlauf der Gespräche mit der Regierung. „Ich habe keinen großen Wandel bisher in der Position der Regierung erkennen können“, sagte Corbyn am Samstag in Plymouth. Etwas mehr Flexibilität forderte auch Labour-Politikerin Diane Abbott in einem BBC-Interview: „Es steht außer Frage, dass das Durcheinander, in dem wir stecken, das Durcheinander von Theresa May ist.“ Labour will unter anderem die Zollunion mit der Europäischen Union beibehalten.
May unternahm einem Medienbericht zufolge einen neuen Anlauf, die oppositionelle Labour-Partei von ihrem Brexit-Abkommen zu überzeugen. Die Regierungschefin wolle eine Zollvereinbarung mit der Europäischen Union im Gesetz verankern, berichtet die „Sunday Times“. Unter dem neuen Plan solle der vorliegende Austrittsvertrag umgeschrieben werden. Die britische Regierung wollte sich dazu am Samstagabend nicht äußern.
Der britische Finanzminister Philip Hammond zeigte sich zuversichtlich, dass die Gespräche mit der Opposition Erfolg haben könnten. Die Diskussionen mit der Labour-Partei würden weitergehen, sagte er am Samstag beim Treffen der EU-Finanzminister in Rumäniens Hauptstadt Bukarest. „Ich bin optimistisch, dass wir irgendeine Art von Übereinkunft erreichen werden.“ Der Ansatz der Regierung sei, ohne rote Linien und unvoreingenommen in die Gespräche zu gehen.
Die Beauftragte des britischen Kabinetts für Parlamentsangelegenheiten, Andrea Leadsom, sieht ein zweites Brexit-Referendum indes skeptisch. Das wäre „Höchstverrat“, schrieb Leadsom in einem Artikel für den „Sunday Telegraph“. Leadom zählt zum Lager der Brexit-Befürworter. Eine erneute Volksbefragung würde eine langwierige Verzögerung mit sich bringen. Da das Parlament bisher nicht in der Lage gewesen sei, das Ergebnis des ersten Referendums umzusetzen, gebe es auch keinen Grund zu glauben, bei einer zweiten Abstimmung könnte dies gelingen. Die Vision vom Brexit schwinde dahin. Außerdem laufe die Zeit weg, diese Vision noch zu retten.
Während sich der Streit um den Brexit zieht, geht bei den britischen Reisepässen alles ganz schnell: Trotz der Brexit-Verschiebung fehlt auf den Dokumenten bereits die Bezeichnung „Europäische Union“. Die burgunderfarbenen Pässe werden seit dem 30. März ausgegeben - einen Tag nach dem ursprünglich geplanten EU-Austritt. Innenminister Sajid Javid sprach von einem „effizienten Management“. Ende des Jahres müssen sich die Briten auf noch eine Neuerung einstellen: Dann sollen die Dokumente nicht mehr im typischen Burgunderrot der EU-Reisepässe ausgestellt werden, sondern in Blau - mit Pässen in dieser Farbe bereisten die Briten früher die Welt.
Bisher ist vorgesehen, dass Großbritannien die EU am 12. April verlässt. Um einen chaotischen Bruch mit unabsehbaren Folgen zu vermeiden, hat May in einem Schreiben an EU-Ratschef Donald Tusk um Aufschub bis zum 30. Juni gebeten. Tusk plädiert hingegen für eine flexible Verlängerung der Austrittsfrist um bis zu zwölf Monate. Der Vorschlag ist auch als „Flextension“ oder „Flexi-Brexit“ bekannt.
Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Evelyne Gebhardt, lehnt einen weiteren Brexit-Aufschub ab, wenn London nicht spätestens bis Freitag sagt, wie es weitergehen soll. „Eigentlich wollen wir keinen Brexit, und wenn, dann auf keinen Fall einen harten Brexit. Aber wir können nicht akzeptieren, dass es eine unendliche Geschichte wird“, sagte die SPD-Politikerin der „Heilbronner Stimme“ (Samstag).
Ähnlich äußerte sich der Staatsminister für Europa im deutschen Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“: „Eine kurze Verlängerung kommt nur dann in Betracht, wenn es eine neue Entscheidungssituation gibt.“