Vom Flüchtling zum Marathon-Rekordler im Namen der Republik
Vom Flüchtling zum Hoffnungsträger seiner neuen Heimat: Die Geschichte hinter Österreichs neuem Marathon-Rekordler Lemawork Ketema (32).
Von Florian Madl
Salzburg — Irgendwann war es so weit, dass sich Lemawork Ketema nicht mehr heim nach Äthiopien traute. Das Militärregime hätte den Widerspenstigen, der am Sonntag einen neuen österreichischen Marathon-Rekord fixierte (2:10:44 Std.), gerne politisch instrumentalisiert. Aber der Heeressportler wollte sich auf seine Passion beschränken: Laufen.
Der Salzburg-Marathon 2013 stellte eine gute Möglichkeit dar, um der Heimat endgültig Lebewohl zu sagen. Er hatte die Reiseerlaubnis, aber man hatte es ihm schwer gemacht. „Das vom Verein bereits vorfinanzierte Flugticket verfiel", erzählte Harald Fritz, mittlerweile Ketemas Betreuer und von Berufs wegen Ausdauercoach.
Der junge Äthiopier kaufte sich sein Ticket schließlich selbst, flog nach Salzburg und kehrte nicht mehr heim nach Afrika.
Nie einen Euro aus dem Staatstopf genommen
Die Geschichte des politischen Flüchtlings Ketema mutierte zur Sportgeschichte — denn für Österreich war seine Einbürgerung von „besonderem Interesse". Ein Behördenmarathon war dem vorausgegangen, vorbei auch die Zeit im Zehnbettzimmer des Flüchtlingslagers Traiskirchen, wo ein geregeltes Training fast unmöglich war. „In Zeiten des Ramadan war nicht an Nachtruhe zu denken", erklärte Betreuer Harald Fritz, der seinen Schützling bei Läufen in den Donauauen kennen gelernt hatte.
Vier Fragen an ... Peter Filzmaier
Der Wiener Politikwissenschafter Peter Filzmaier kann in Einbürgerungen aufgrund besonderer Leistungen Symbol- und Imagepolitik erkennen. Der 51-Jährige sieht die größeren Probleme aber in Katar und der Türkei.
- Wie beurteilen Sie die Verleihung der Staatsbürgerschaft, wenn es um „besondere Interessen" der Republik Österreich geht? Eine sachliche Linie ist nicht feststellbar, es fehlt bisweilen die inhaltliche Logik. Es geht wohl in erster Linie um Imagepolitik der jeweiligen Regierung.
- Hebt sich Österreich in diesem Punkt von anderen Ländern ab? Hierzulande gibt es zumindest klare Richtlinien, das größere Problem sind aus meiner Sicht eingekaufte Einbürgerungen wie in Katar oder der Türkei. Die Leute haben dort teilweise nicht einmal das Land gesehen.
- Halten Sie die Zuerkennung einer Staatsbürgerschaft allgemein für bedenklich, wenn es um besondere Leistungen geht? In einer globalisierten Welt nicht. Aber die Gegenfrage muss lauten: Wie geht man vor, wenn sich ein Mensch nicht durch sein Talent, durch seinen Gesang oder seine läuferische Qualität hervortut?
- Zuletzt wurde der englische Fußballer Ashley Barnes nicht eingebürgert, obwohl er die Qualität aufgebracht und zudem eine österreichische Großmutter gehabt hätte. Das wurde in der Vergangenheit oft unterschiedlich gehandhabt. Als es um Österreichs Eishockey-Nationalmannschaft ging, war das teilweise so. Ich halte es jedenfalls für frivol, solche Debatten an Sportlern aufzuhängen, die in der Gesamtbetrachtung eine Minderheit darstellen. Man muss auch aufpassen: Ein englischer Fußballer ist nicht mit einem politischen Flüchtling wie Ketema vergleichbar, der sich erst in Österreich zum Spitzenläufer entwickelt hat.
Mittlerweile wird die Geschichte Lemawork Ketemas als gelungene Integration gefeiert, dabei hatte der 32-Jährige niemals Staatsgeld bezogen. Kaum eingebürgert, meldete sich der schnelle Mann selbstständig, um sich als Profi dem Training zu widmen. 2017 betrug das Jahresbudget des Wahlwieners einem Interview mit der Austria Presse Agentur zufolge 20.000 Euro. Die Zeiten sollten sich ändern, Ketema darf künftig auf Zuwendungen aus weiteren Fördertöpfen hoffen.
Die erste Zwischenstation, der besagte Rekord und die damit verbundene Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio, ist erreicht. Zur Freude des Manns aus Huruta, der zurückblickt: „Das war ein unglaublicher Tag. Die letzten drei, vier Jahre habe ich viel geträumt, der Traum hat heute funktioniert."
Sein Betreuer Harald Fritz blickt zufrieden auf die vergangenen Jahre zurück, auf die Einbürgerung und den Neustart seines Schützlings. „Einbürgerungen, die wie ein Sklavenhandel ablaufen, verurteile ich aufs Schärfste. Aber ich gönne es jedem, dem mit so einer Maßnahme geholfen werden kann."
Fünf Fragen an ... Gunnar Prokop
Achtmal gewann Gunnar Prokop, Ehemann der mittlerweile verstorbenen Innenministerin Liese Prokop, in den 80er- und 90er-Jahren mit Hypo Südstadt den Handball-Europacup der Damen. Dem Erfolg lagen Namen wie Kolar-Merdan, Ziukiene, Bozovic, Högdahl oder Shynkarenko zugrunde. Eine Einbürgerungspolitik, wie sie nicht jeder goutierte.
- Rechtfertigten die Erfolge von Hypo Südstadt und in weiterer Folge des Nationalteams Ihre Strategie der Einbürgerungen? Es gab damals klare Kriterien: Spielberechtigung fürs Nationalteam, internationale Klasse. Der Einbürgerung gingen eine Entscheidung des Handballverbandes und ein Regierungsbeschluss voraus. Und die Erfolge, u. a. WM- und EM-Dritter, waren in Ordnung, oder?
- Sie spielten mit einer wahren Weltauswahl. Wie gingen Sie mit aufkeimender Kritik um? Das war mir wurscht, fast alle der Sportlerinnen von damals leben noch immer in Österreich.
- Die Erfolge von Hypo Südstadt sind 30 Jahre her. Würden Sie das auf die Gegenwart umlegen? Ich würde es heute noch genauso machen, die Spielerinnen waren ja wirklich Vorbilder.
- Wie fand die Integration statt? Es ging ausschließlich über die Sprache. Die Sportlerinnen hatten drei Mal wöchentlich einen Zwei-Stunden-Kurs, den wir bezahlten. Wenn nach Weihnachten ein Wort nicht in Deutsch fiel, kam ein Gebührenkatalog zum Einsatz. In dem hatten die Damen festgelegt, was man zahlen muss. Das Geld wurde gespendet.
- Einbürgerungen sind aus Ihrer Sicht so gesehen ein probates Mittel, um Erfolg zu garantieren? Beim Eishockey kann ich das aber nicht immer nachvollziehen. Dort redet der Coach Englisch — wie will man den Spielern da Motivation vermitteln?