Impfen - Keine einfachen Lösungen für Defizite
Wien (APA) - Impfen ist sprichwörtlich vernünftig. Das Ablehnen von Impfungen irrational. Einfache Lösungen zur Beseitigung von Defiziten be...
Wien (APA) - Impfen ist sprichwörtlich vernünftig. Das Ablehnen von Impfungen irrational. Einfache Lösungen zur Beseitigung von Defiziten bei den Immunisierungen gibt es nicht, erklärten am Mittwoch Experten bei einem internationalen Symposium aus Anlass der Europäischen Impfwoche in Wien.
„Impfen: Soziale Verantwortung oder obligatorische Verpflichtung?“, lautete das Thema des Symposiums der Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie an der MedUni Wien. „Wir kämpfen immer wieder mit den selben Problemen. Wir leben in einer Post-Vertrauens-Gesellschaft. Wir leben in einer Post-Wahrheits-Gesellschaft“, sagte MedUni Wien-Rektor Markus Müller bezüglich aktueller Tendenzen, die auf ein Zurückdrängen der Errungenschaft seit dem Zeitalter der Aufklärung Ende des 18. Jahrhunderts hinweisen würden.
Defizite im Impfwesen sind von Land zu Land und von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich. „In 37 von 54 Ländern der WHO-Europaregion sind die Masern eliminiert. Die meisten Fälle kommen in etwas mehr als zehn Ländern wie zum Beispiel Belgien, Frankreich, Georgien, Deutschland, Italien, Rumänien, Russland und in der Ukraine vor“, sagte Claude Muller vom WHO-Referenzzentrum für Masern und Röteln. Von den rund 82.000 Masernfällen in Europa im vergangenen Jahr mit 72 Todesfällen (34 Todesfälle davon in der EU) traten allein knapp 40.000 in der Ukraine auf.
„Ein Dutzend Staaten hat obligatorische Impfprogramme. In Italien gibt es das seit Jänner 2017 mit Impfungen gegen zwölf Krankheitserreger, in Frankreich seit 2018 mit Impfungen gegen elf ansteckende Erkrankungen“, stellte Muller die Situation dar. An Bevölkerungsgruppen, die aus ideologischen oder religiösen Gründen - zum Beispiel christliche Sekten im „Bibel-Gürtel“ Impfungen der Niederlande - rundweg verweigern, komme man damit aber auch nicht heran.
Auf der anderen Seite kann der verpflichtende Nachweis absolvierter Impfungen zu einer größeren Verbreitung der Kinderimpfungen führen. „Wir haben ein solches Programm seit Jänner 2017 in Italien. Es hat sich bewährt. Verweigern Eltern die Impfung ihrer Kinder (bis zum 16. Lebensjahr;), können sie jährlich mit hundert bis 500 Euro bestraft werden. Bei den Masern hat sich gezeigt“, dass die Durchimpfungsrate von 90 auf 93 Prozent gestiegen ist“, erklärte Rita Carsetti vom Gesu Kinderspital in Rom gegenüber der APA. Die nunmehrige Regierung wolle die Impflicht leider wieder abschaffen, nur die Masern-Impfpflicht belassen.
„Bei uns in Frankreich war das eine pragmatische und symbolische Entscheidung. Wir hatten früher empfohlene und verpflichtende Impfungen für Kinder. Die ‚nur‘ empfohlenen Immunisierungen wurden als weniger wichtig empfunden. Da hat sich die Politik entschlossen, eben auch alle diese Impfungen verpflichtend zu machen“, erklärte Daniel Levy-Bruhl von der französischen Behörde für öffentliche Gesundheit. „Im Vergleich zu 2017 (vor dem Programm; Anm.) ist bei uns beispielsweise die Durchimpfungsrate gegen die Meningokokken von 34 auf 76 Prozent im vergangenen Jahr gestiegen.“ Für eine Beurteilung der Situation bei den Masern sei es noch zu früh
„Wir sollten den Hype zurückschrauben. Wir haben zwischen den Jahren 2006 und 2016 durchaus Fortschritte gemacht. Die Masern-Impfrate ist bei der ersten Teilimpfung von 90 auf 95 Prozent gestiegen, bei der zweiten Teilimpfung von 90 auf 92,9 Prozent“, sagte Thomas Mertens, Vorsitzender der Ständigen deutschen Impfkommission (STIKO). Für obligatorische Impfungen müsste man bestimmen gegen welche Krankheiten und wer ihnen unterliegen würde. „Das ist eine politische Entscheidung. Ich befürchte eine Menge juristischer Probleme nach der Einführung einer Impfpflicht.“
Auch die Wiener Vakzinologin und Symposiumsorganisatorin Ursula Wiedermann-Schmidt (MedUni Wien) ist bezüglich einer allgemeinen Impfpflicht skeptisch: „Ich glaube nicht, dass das in Österreich machbar ist. Aber sehr wohl sollte es beispielsweise eine Impfpflicht für das gesamte Gesundheitspersonal geben.“
Ein Manko, das in der Diskussion über obligatorische Impfungen oft übersehen wird: Die größten Impflücken betreffen derzeit in vielen europäischen Ländern junge Erwachsene, die noch nicht von nationalen Kinderimpfprogrammen erfasst worden sind. Auch ältere Menschen, die nicht auf die Aufrechterhaltung des Impfschutzes achten, sind davon betroffen. Diese Bevölkerungsgruppen sind aber kaum einem Impfzwang zu unterwerfen.