Russische Pässe für „Volksrepubliken“ kamen nicht unerwartet

Kiew/Moskau (APA) - Wladimir Putins Entscheidung, Bewohnern der prorussischen „Volksrepubliken“ der Ostukraine in einem vereinfachten Verfah...

Kiew/Moskau (APA) - Wladimir Putins Entscheidung, Bewohnern der prorussischen „Volksrepubliken“ der Ostukraine in einem vereinfachten Verfahren die russische Staatsbürgerschaft zu verleihen, kommt nicht überraschend. Sie hat aber das Potenzial, die Spielregeln nachhaltig zu verändern und legt nahe, dass Moskau ungeachtet der Führung in Kiew keine Rückkehr dieser Territorien unter ukrainische Kontrolle anstrebt.

Seit am 16. April die russischen Qualitätszeitungen „Kommersant“ und „RBK“ detailliert über geplante Staatsbürgerschaftsvergaben berichtet hatten, war mit der Veröffentlichung des dazugehörigen Erlasses des russischen Präsidenten gerechnet worden.

Der Zeitpunkt dieser Medienveröffentlichungen war nach APA-Informationen dabei nicht vom Kreml gesteuert worden: Bei einem Hintergrundbriefing zu einer anderen Thematik war ein hochrangiger russischer Behördenvertreter von Journalisten mit Infrastrukturmaßnahmen nahe der ukrainischen Grenze konfrontiert worden, die auf geplante Amtshandlungen mit Bewohnern der „Volksrepubliken“ schließen ließen. Der Bürokrat gestand ein, dass die Rede von der vereinfachten Verleihung von russischen Staatsbürgerschaften sei, die der Präsident formal auf Basis eines Ende März 2019 in Kraft getretenen Gesetzes verfügen könnte. Die Zeitungen berichteten darüber in Folge.

Laut Recherchen von „RBK“ soll sich diese Maßnahme primär auf jene 250.000 von etwa 3.5 Mio. Einwohnern der „Volksrepublik von Donezk“ (DNR) und der „Volksrepublik von Luhansk“ (LNR), die über „Pässe“ von DNR und LNR verfügen. In Russland selbst wurden diese Dokumente seit Februar 2017 anerkannt. Wladimir Putin hatte damals einen diesbezüglichen Erlass unterschrieben und ebenso für heftige ukrainische Proteste gesorgt.

Die aktuelle Entscheidung Putins geht freilich deutlich darüber hinaus und erinnert an die massive Vergabe russischer Staatsbürgerschaften an Bewohner der georgischen Provinz Südossetien. Im August 2008 diente der Schutz russischer Staatsbürger in dieser Provinz als Rechtfertigung einer offenen militärischen Intervention Russlands auf georgischem Staatsgebiet.

Bislang hatte Russland seine Aktivitäten im Osten der Ukraine vor allem mit dem Schutz russischsprachiger Menschen begründet. Dies gilt auch für die nunmehrige Vergabe von Staatsbürgerschaften: „Das ist einer Schuld Russlands gegenüber russisch sprechenden und denkenden Menschen, die sich wegen der repressiven Handlungen des Kiewer Regimes in einer schwierigen Situation befinden“, kommentierte der „Volksrepubliken“-Beauftragte des Kreml, Wladislaw Surkow, am Mittwoch gegenüber der Nachrichtenagentur TASS. Dass es sich beim gewählten ukrainischen Staatsoberhaupt ebenso um einen „russisch sprechenden und denkenden Menschen“ handelt, spielte aus Moskauer Sicht bislang keine Rolle.

Problematisch sind die Staatsbürgerschaftsvergaben aber selbst im Fall einer friedlichen Reintegration dieser Gebiete in den ukrainischen Staat, die vom Minsker Abkommen angestrebt wird: Die Ukraine akzeptiert keine Doppelstaatsbürgerschaften und würde derart mit einer großen Zahl eigener Staatsbürger konfrontiert sein, die durch ihre gleichzeitige russische Staatszugehörigkeit automatisch gegen die ukrainische Verfassung verstoßen.

Der aktuelle Handlungsspielraum Kiews ist freilich begrenzt: Neben Appellen an die Betroffenen, keine russische Staatsbürgerschaft anzunehmen, bleibt nur die Hoffnung auf neue westliche Sanktionen gegen Russland. Letzteres haben am Mittwoch sowohl der amtierende Präsident Petro Poroschenko als auch sein designierter Nachfolger Wolodymyr Selenskyj artikuliert.

Die aktuelle Entwicklung ist aber auch Wasser auf die Mühlen des national-patriotischen Lagers in der Ukraine, das sich damit in seinem strammen Ukrainisierungskurs bestärkt fühlt und durch das Zurückdrängen der russischen Sprache, Russland seiner Argumente berauben möchte. Am Donnerstag steht die Abstimmung über ein umstrittenes Sprachengesetz in zweiter und finaler Lesung im ukrainischen Parlament auf der Tagesordnung. Putins Erlass vom Mittwoch dürfte eine noch deutlichere Mehrheit für dieses Gesetz garantieren, das unter anderem die Verwendung des Russischen im öffentlichen Bereich einschränkt.

(Alternative Schreibweisen: Wladimir Selenski, Luhansk)