„Sie ist der andere Blick“: Die Perspektive der Künstlerinnen

Wien (APA) - Die österreichische Kunstszene in den 60ern: Während die Welt auf die männlichen Vertreter des Wiener Aktionismus blickte, die ...

Wien (APA) - Die österreichische Kunstszene in den 60ern: Während die Welt auf die männlichen Vertreter des Wiener Aktionismus blickte, die versuchten, Tabus zu brechen, kämpften Künstlerinnen mit anderen Problemen - sexuelle Belästigung, ein ignoranter Kunstmarkt, finanzielle Engpässe. Christiana Perschon lässt jene Frauen in der Doku „Sie ist der andere Blick“ aus der Zeit erzählen. Ab Freitag im Kino.

Es gibt mehr weibliche Künstlerinnen in Österreich als nur VALIE EXPORT und Maria Lassnig, erwähnt die Künstlerin, Malerin und Grafikerin Lore Heuermann zu Beginn des Films. Und sie fügt abschätzig hinzu: „Eine Frau in einem Jahrzehnt reicht anscheinend.“ Ohne Umschweife steigt Perschon damit in die Thematik der jahrhundertelangen und bis heute andauernden Ungleichbehandlung von Frauen in der bildenden Kunst ein. Während eine weiße Leinwand weiß übermalt wird, erzählt Heuermann von ihren Erfahrungen mit einem übergriffigen Professor in der Dunkelkammer und Männern, die ihre Werke nicht kauften, weil sie „keine Frauen sammeln“ würden.

Ihr folgen Renate Bertlmann, Linda Christanell, Karin Mack, Margot Pilz und Iris Dostal. Nacheinander arbeitet sich die österreichische Regisseurin durch die Künstlerinnen, lässt sie in ihrem weißen Atelier von ihrem Schaffen reden. Teilweise sind die Frauen im Bild zu sehen, ansonsten bloß ihre Werke. Bertlmann zeigt ihre Fotoserie „Zärtliche Berührungen“, in der sich aufgeblasene Kondome sanft berühren, Pilz ihre Installation „Weiße Zelle“, welche die physischen Zustände der Insassen darstellt, Dostal schafft vor laufender Kamera assoziative Kunstwerke aus Alltagsgegenständen.

Streckenweise erinnert die Dokumentation an den YouTube-Trend des „Autonomous Sensory Meridian Response“, kurz ASMR, in denen Menschen Dinge streicheln, flüstern und nähen. Das Rascheln des Stoffes, das Ausstoßen der Luft bei harten Worten oder das Klicken der Stricknadeln soll bei Zusehenden angeblich zu einem kribbelnden Gefühl führen. Geräusche und das Auditive bleiben den ganzen Film über dominant. Besonders im ersten Drittel steht der Ton im Vordergrund, erst dann bekommen die Augen eine Beschäftigung.

Surrealen Bilder mit Lichteffekten folgen so gestochen scharfe, realistische Aufnahmen, dass der Kontrast fast in den Augen schmerzt. Die Schmalfilmformate 16mm und Super 8 wechseln mit digitalen Aufnahmen. Die junge Filmemacherin steht den porträtierten Künstlerinnen in der Aussagekraft ihrer Bildkompositionen um nichts nach. Wenn die Künstlerinnen ihre Arbeit erörtern oder während Perschon sie filmt, wird Kunst innerhalb von Kunst geschaffen. Verdient wurde sie deshalb 2018 für ihr Schaffen mit dem Theodor-Körner-Preis für Kunst ausgezeichnet.

Es ist eine überblickhafte, aber dennoch lehrreiche Dokumentation, die sich Zeit für Zwischenbilder und die sensorische Erfahrung nimmt. Man lernt Bruchstücke aus dem Schaffen der Künstlerinnen kennen, dabei streift die Regisseurin aber zu viele Themen, um bei einzelnen in die Tiefe zu gehen. Sie zeigt auf das, worauf die Zusehenden ihren Blick richten sollen, die Arbeit muss dann jeder selbst machen. Der Film ist ein Anstoß, kein Erklärstück.

Nach rund 90 Minuten „Sie ist der andere Blick“ sind einige österreichischen Künstlerinnen zumindest kein weißes Blatt mehr. Standen am Anfang des Films leere Leinwände, endet er mit meterlangen, vollgezeichneten Papierrollen. Man weiß ein bisschen mehr über die Künstlerinnen und mit einem kämpferischen „Es ist uns nicht mitgegeben, sich unterzuordnen“ entlässt die Dokumentation die Zuseher mit unmissverständlicher Handlungsaufforderung in den Alltag.

(S E R V I C E - www.sieistderandereblick.at)