Fritschs „Zelt“ an der Burg: Oper für Wischmopp und Zeltstange

Wien (APA) - Vorweg: Gehört man zu jenen Menschen, die ein Iglu-Zelt auch bei Sturm mit geschlossenen Augen in drei Minuten aufbauen, könnte...

Wien (APA) - Vorweg: Gehört man zu jenen Menschen, die ein Iglu-Zelt auch bei Sturm mit geschlossenen Augen in drei Minuten aufbauen, könnte man bei Herbert Fritschs „Zelt“ im Burgtheater bald die Nerven verlieren. Für alle anderen ist diese letzte Produktion am großen Haus unter der Direktion von Karin Bergmann sicher ein netter Abend, an dem man das Gehirn mal abschalten kann. Am Samstagabend war Premiere.

Der deutsche Regisseur, der nach langen Jahren als Schauspieler von Frank Castorf an der Berliner Volksbühne erst spät ins Regiefach gewechselt hat, ist spätestens seit seinen Wiener Inszenierungen von Molieres „Der eingebildete Kranke“ (2015) und Shakespeares „Komödie der Irrungen“ (2017) auch hierzulande für seinen bunten Slapstick, die entrückten, stark geschminkten Figuren und die pure Lust am Spaß bekannt. In der Uraufführung von „Zelt“ führt der 68-Jährige nun frühere Ideen wie die musikalische Komponente seiner Oper „Ohne Titel Nr. 1“ und die Wortknappheit des Ein-Wort-Stücks „Murmel Murmel“ zusammen und bietet einen Abend, der komplett ohne Text auskommt.

Dafür steigert Fritsch in drei Akten die Geräuschkulisse stetig vom Wischmopp- und Kübel-Ballett über Zeltstangengeklapper bis hin zu einer ohrenbetäubenden Improvisation für Gitarren und Akkordeons. Begleitet wird der akustische Wahnsinn am Bühnenrand von Matthias Jakisic, der seiner E-Violine so manchen bisher ungehörten Ton entlockt. Was an Sprache fehlt, wird an Farbe kompensiert: Ein bunter Rausch aus Gelb und Grün dominiert den ersten Akt, in dem Fritsch das zwei Dutzend Schauspieler umfassende Putzpersonal in perfekter Synchronbewegung den blassgrünen Bühnenboden wischen lässt. Das geschieht zunächst beinahe geräuschlos, langsam mischen sich Wasserplätschern beim Auswringen der Putzlappen oder das Abstellen der gefüllten Kübel dazu. „Nach diesem Abend werden Sie nie wieder putzen, zelten, stabhochspringen“, heißt es in der im Programmheft abgedruckten „Checkliste“ für den Abend.

Der zweite Akt folgt auf blank geputzter Bühne: Mit Grandezza und Greifzange macht sich Hermann Scheidleder, der zuvor als gestrenge Putzaufsicht die ersten Lacher des Abends auf sich gezogen hat, ans Aufbauen von Zelt Nummer eins. Ihm bleibt dabei alle Zeit der Welt, die (im Programmheft nachzulesenden) Stadien des Zeltaufbaus durchzuexerzieren. „Endlich da: Das neue Origami-Set“ - die euphorische Phase beginnt, wird jedoch bald durch die „Phase der Verzweiflung“ abgelöst („Mach die Stange erst steif & dann rein“) und gipfelt schließlich in der „Leck mi am Oasch“-Phase. Irgendwann, man mag es kaum glauben, steht das Zelt. Doch kaum ist es fertig, fliegen durch den geöffneten Eingang 23 weitere Zelt-Sets, die in der folgenden Stunde von Scheidleders Kollegen zunächst lustvoll-engagiert, später verzweifelt-frustriert und schließlich erleichtert-triumphierend aufgebaut werden.

Das gleicht einem Sommerlager von volkstümlichen Zirkusartisten: Fritsch hat seine Schauspielerinnen allesamt mit blonden Zopffrisuren und stilisierten Dirndln ausgestattet, die Wangen knallrot, die Bewegungen fahrig. Tollpatschig stolpern die Herren über ihre Stangen und stellen ganz nebenbei ihren Zeltnachbarinnen nach. Wer nach dieser Produktion sicherlich nie wieder zelten gehen wird, sind wohl die Schauspieler selbst. Unter ihnen eine den Slapstick zur Perfektion treibende Ruth Brauer-Kvam, eine herzerfrischende Marta Kizyma und ein sich akrobatisch austobender Simon Jensen. Auch Stefanie Dvorak, Michael Masula, Markus Meyer oder Petra Morzé finden sich in der bunten Schar der Zeltbauer und dürfen im dritten Akt wie alle anderen ein kurzes Solo an ihrem jeweiligen Instrument absolvieren.

Mit Musik hat das jedoch nur wenig zu tun: Die Gitarren werden zwar im Rhythmus geschlagen, die Saiten jedoch abgestoppt. Auch am Akkordeon geht es hauptsächlich darum, den Luftzug hörbar zu machen, schräge Töne entspringen den Instrumenten erst im ohrenbetäubenden Finale dieses Abends, der bis auf wenige Buh-Rufe ausgiebig (und vor allem lange) akklamiert wurde.

„Ich bin ein Grimassen- und Fratzenschneider“, sagte Fritsch einmal im APA-Interview. „In meinem Publikum sitzen Ärzte und Rechtsanwälte, die wesentlich mehr Elend gesehen haben als ich. Ich gehe dem Elend möglichst aus dem Weg. Bei mir muss sich der Zuschauer nicht schuldig fühlen.“ Assoziationen zu Zeltcamps von Flüchtlingen oder prekären Arbeitsverhältnissen von Putzpersonal mögen bei manchem Zuschauer aufkommen, sind wohl aber nicht intendiert. Vielmehr bietet Fritsch seinen Darstellern ein Austoben in Mimik und Gestik, ohne sich lästigen Text merken zu müssen. Dem Publikum wird dabei in 100 pausenlosen Minuten allerdings einiges an Sitzfleisch abverlangt.

(S E R V I C E - „Zelt“ von Herbert Fritsch im Burgtheater (auch Bühne und Regie). Kostüme: Bettina Helmi, Musik: Matthias Jakisic, Licht: Friedrich Rom. Mit u.a. Ruth Brauer-Kvam, Stefanie Dvorak, Sabine Haupt, Simon Jensen, Michael Masula, Markus Meyer, Petra Morzé und Hermann Scheidleder. Weitere Termine: 28. April, 1., 19., 24., 25. und 30. Mai. Karten unter Tel. (01) 5131513 sowie www.burgtheater.at)