Bundespräsident Alexander Van der Bellen und seine russischen Wurzeln

Wien/Moskau (APA) - Für Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist der Arbeitsbesuch bei seinem russischen Kollegen Wladimir Putin nicht d...

Wien/Moskau (APA) - Für Bundespräsident Alexander Van der Bellen ist der Arbeitsbesuch bei seinem russischen Kollegen Wladimir Putin nicht der erste Arbeitsbesuch in Russland - bereits 2002 war er als Parlamentarier in das Land gereist. Obwohl ihn die Reise nach Sotschi und nicht in die westrussische Heimat seines Vaters führt ist dennoch mit Verweisen auf die Familiengeschichte des Bundespräsidenten zu rechnen.

Alexander Van der Bellens gleichnamiger Vater war 1898 in der Stadt Pskow unweit der heutigen Grenze von Russland und Estland zur Welt gekommen, wo die ursprünglich aus Holland stammende Familie im frühen zwanzigsten Jahrhundert eine maßgebliche Rolle spielte: Nach einer Karriere in der lokalen Selbstverwaltung fungierte der ebenso gleichnamige Großvater des Bundespräsidenten nach der Februarrevolution von 1917 einige Monate lang als Kommissar der Provisorischen Regierung im Gouvernement Pskow und war damit so etwas wie ein Landeshauptmann.

Nach der Oktoberrevolution und mit der Machtübernahme durch Lenins Bolschewiken auch in Pskow suchte die Familie jedoch 1919 ihr Heil in der Flucht in das benachbarte Estland. Als dann diese baltische Republik als Konsequenz des Hitler-Stalin-Pakts 1940 von der Sowjetunion annektiert wurde, nutzen die Eltern des heutigen Bundespräsidenten die Gelegenheit, als vermeintliche Deutsche nach Wien zu übersiedeln, wo Alexander junior im Jänner 1944 zur Welt kam. Noch einmal weiter ging es ein knappes Jahr später: Bevor die Rote Armee Wien erreichen sollte, zog die Familie nach Tirol weiter.

Die Angst seiner Eltern vor dem sowjetischen Geheimdienst und vor Stalin sei tief gesessen, erzählte später der künftige Bundespräsident. „Man hat mir als Kind eingeschärft, dass ich bei meinem Schulweg in Innsbruck einen Umweg um das sowjetische Konsulat in der Falkstraße machen soll“, sagte der Politiker 2016. Er habe dies zwar nicht verstanden, das betreffende Gebäude sei ihm aber unheimlich gewesen.

Obwohl seine mehrsprachigen Eltern untereinander nur Russisch gesprochen hätten und russische Kultur alltäglich gewesen sei, hätten sie mit ihm jedoch nur Deutsch gesprochen, berichtete er. Die Sprache hat freilich Spuren hinterlassen: Van der Bellen wurde und wird von Freunden „Sascha“ genannt, als Volksschüler unterzeichnete er bisweilen Briefe an Verwandte mit dem ebenso russischen Kosenamen „Saschinka“.

Nachdem sich Van der Bellen jahrzehntelang nie systematisch mit seinen familiären Wurzeln beschäftigt hatte, zeigte er zuletzt deutliches Interesse: Am Rand seines offiziellen Besuchs in Estland traf der Bundespräsident im vergangenen Juni Nachkommen seines Onkels Konstantin zu einem mehrstündigen Gespräch. Im Februar empfing er in der Hofburg den Historiker und Leiter des Regionalarchivs von Pskow, Waleri Kusmin, der in den letzten Jahren intensiv zu den Van der Bellens im Gouvernement Pskow geforscht hatte.

Eine von Kusmin recherchierte Episode bringt dabei die Familiengeschichten des österreichischen und russischen Staatsoberhaupts in Verbindung: Während der Leningrader Blockade durch die deutsche Wehrmacht und der damit verbundenen Hungersnot verlor Van der Bellen 1942 seine Tante Marija Bellen, eine Halbschwester seines Vaters, die in Leningrad als Bibliothekarin gearbeitet hatte. Im selben Jahr war in der belagerten Stadt auch ein Bruder des russischen Präsidenten als Kleinkind verstorben.

Abgesehen von Archivdokumenten, die großteils erst seit der Wahl von Alexander Van der Bellen zum österreichischen Bundespräsidenten aufgearbeitet wurden, haben die Van der Bellens in Russland kaum Spuren hinterlassen. Das hat auch damit zu tun, dass das familiäre Anwesen außerhalb von Pskow, das unter normalen politischen Umständen ein Cousin des Vaters von Alexander Van der Bellen geerbt hätte, in den Jahrzehnten nach der Oktoberrevolution fast völlig zerstört wurde. Lediglich ein kleiner Teich mit einer künstlich angelegten Insel erinnert heute im Dorf Krassino an eine prächtige neoklassizistische Parkanlage, die seinerzeit die Vorfahren des österreichischen Bundespräsidenten im 19. Jahrhundert angelegt haben.