ESC-Experte Eberhard Forcher: „Pænda wird es schwer haben“
Mit ihrem Song „Limits“ rittert Pænda beim Eurovision Song Contest in Tel Aviv um Europas Liederkrone. Die TT hat mit Ö3-Urgestein Eberhard Forcher über ihre Chancen gesprochen.
Seit vier Jahren sind Sie als Song-Contest-Scout für den ORF tätig. Wie findet sich ein passender Act?
Eberhard Forcher: Am Anfang ging ich auf die Musiker zu und fragte einfach. Das ist weitestgehend bis heute so. Wenn ich etwas von der nötigen Essenz spüre, treffe ich mich für ein erstes Gespräch. In weiterer Folge muss man sehen, inwieweit der Angesprochene bereit, fähig oder überhaupt interessiert ist, beim ESC mitzumachen. Ich möchte vor allem mit Künstlern arbeiten, die für das Thema brennen. Natürlich werde ich aber auch angesprochen; das ist aber meistens eher zu vergessen.
Welche „Essenz“ braucht es für den Song Contest?
Forcher: Nehmen wir als Beispiel den Tiroler Nathan Trent, der als junger, völlig unbekannter Künstler mein Interesse geweckt hat. Bereits im ersten Gespräch wurde klar, der Bursche würde alles dafür tun, um gut abzuschneiden beim ESC. Anders als bei anderen Künstlern, bei denen man schnell merkt, dass eine Teilnahme reines Marketingkalkül ist.
Was hat Sie an Pænda fasziniert?
Forcher: Auch bei ihr spürte ich diese Begeisterung. Außerdem wollte ich sie schon lange dabei haben. Auch live hat sie mich überzeugt.
Und von ihr gab es bereits ein Album.
Forcher: Ja, es gab einen Entwurf. Daraus haben wir uns einen Song ausgesucht, an dem Pænda aber noch arbeiten sollte. Zum Schluss kam leider ein Song heraus, der sich auf den ESC verkrampft hatte. Damit war schlussendlich keiner mehr zufrieden. Bei den nächsten Songs, die Pænda mir gezeigt hatte, war „Limits“ dabei. Ein Song, der mich sehr berührte. Aber eben eine Ballade – das hatten wir nicht gesucht. Die Expertenjury aber gab mir Recht: Der Song sticht heraus. Natürlich wissen wir, dass wir ein großes Risiko eingehen, weil der Song polarisiert.
Die ersten Reaktionen der Hörer fielen nicht sehr positiv aus.
Forcher: Reaktionen in dieser Intensität haben mich überrascht. Das gab es noch nie. Vielleicht habe ich das Publikum ein wenig überschätzt. Die Leute erwarten diese typischen Songs aus dem Radio. So klingt „Limits“ aber nicht, das war es ja auch, was mich daran zugleich irritiert und fasziniert hat. Vom Radio sind wir aber gewohnt, dass nichts anecken darf. Und Pændas Song überfordert. Trotzdem ist es für uns ein Statement, eines, das wir uns nach den erfolgreichen letzten Jahren auch erlauben dürfen.
Hört man da Zweifel an der Auswahl heraus?
Forcher: Wir stehen natürlich zu unserer Entscheidung. Aber uns ist schon klar, Pænda wird es schwer haben in Tel Aviv. Das Unverständnis, das uns entgegenschwappte, gibt natürlich zu denken und erhöht nicht unbedingt den Glauben daran, dass wir eine gute Platzierung erreichen können. Trotzdem kann noch viel passieren: Auch Cesár Sampson war 2018 in den Wettquoten immer ganz hinten. Schlussendlich hat er es doch auf den dritten Platz geschafft. Viel wird davon abhängen, ob der Auftritt von Pænda die Zuseher auch erreicht.
Wie wird performt?
Forcher:
„Limits“ ist ja ein sehr statischer Song. Da wird man nicht viel machen können. Ich habe die ersten Proben gesehen und kann verraten, dass es in die richtige Richtung gehen wird. Die Emotion des Songs wird verstärkt, das ist wichtig. Auf subtile Art wird der Song visuell unterstützt.
Auch der ESC als Format wird immer wieder kritisiert, finden Sie ihn noch zeitgemäß?
Forcher: Der Contest ist zeitgemäßer denn je. Gerade jetzt, wo überall neue Grenzen aufgezogen werden, versucht der ESC seit Jahren Brücken zu bauen. Er zeigt, wie es aussehen könnte in Europa. Die Gesellschaft sollte sich ein Stück davon abschneiden. Der Wettbewerb ist nicht primär Konkurrenzdenken, aber er macht das ganze Konzept erst spannend. Das ist sogar für die Fernsehzuschauer ein Erlebnis, das es heute so kaum noch gibt. Und wenn man sich als Künstler genau so, wie man ist, auch präsentiert, kann man nichts verlieren.
Sie verstehen aber auch jene Künstler, die sich den Stempel ESC nicht aufdrücken lassen wollen.
Forcher: Ja, sicher. Besonders die typischen FM4-Acts sind skeptisch und wollen gar nichts mit dem System zu tun haben. Aber es gibt keinen Grund, davor Angst zu haben. Viele haben vielleicht noch die Vorstellung, da hoppeln ein paar Leute auf der Bühne herum zu einem Song, der nicht einmal aus der eigenen Feder stammt. Das ist aber gar nicht die Realität. Natürlich muss der Künstler auch erkennen, dass durch eine Teilnahme beim ESC keine Automatik eintritt, die eine Karriere von allein antreibt. Künstler müssen immer selbst daran arbeiten. Nathan Trent etwa hat die Aufmerksamkeit gut genutzt, bei César Sampson war es schade, dass die zweite Single erst nach einem Jahr erschienen ist. Selbst für die Makemakes haben sich neue Türen aufgemacht. Die Trackshittaz sind wohl das einzige richtige Gegenbeispiel.
Wer hat Ihrer Meinung nach heuer gute Chancen auf den Sieg?
Forcher: Einen Favoriten wie Netta im letzten Jahr gibt es heuer nicht. Die Schweiz, Italien und Holland werden sicher viel Aufmerksamkeit bekommen. Mein Dilemma ist, dass ich mittlerweile eine Abneigung entwickelt habe gegen mainstreamigen Allerweltspopsound. Er berührt mich nicht mehr. Slovenien tritt mit einer untypischen Nummer an, das sticht für mich heraus und gefällt mir. Ebenso wie Island, Nordmazedonien, auch Ungarn. Das sind Nummern, die nicht so vorhersehrbar sind. Am Ende wird ein vorhersehbarer Titel gewinnen. Insgesamt ist die Songauswahl heuer qualitativ hoch und modern. Seit „Euphoria“ (von Loreen, sie gewann 2012 den ESC, A.d.R.) ist der Song Contest wieder näher dran am Zeitgeist.
Wer macht für Sie aktuell in Österreich Musik, die für den Zeitgeist steht?
Forcher: Die Antwort ist vielleicht fad und vorhersehbar, aber Bilderbuch sind nach wie vor richtungsweisend. Weil sie mit jedem neuen Album alle Erwartungshaltungen über den Haufen werfen und sich immer wieder neu erfinden. Die Band ist auf eine spannende Art ungreifbar. Das spricht mich sehr an. Sie sind die Speerspitze einer großartigen Szene, die alle Stücke spielt.
Das Gespräch führte Barbara Unterthurner