Deutschland

Patientenmordprozess geht in die Schlussphase: Plädoyers beginnen

Der Angeklagte versteckt sich hinter einem Aktenordner. Bald erwartet ihn das Urteil.
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Das Oldenburger Landgericht sucht monatelang nach der Wahrheit, die manchmal so grausam wie banal daherkommt. 100 Morde werden dem Ex- Pfleger Högel zur Last gelegt. Nun kommen die Stunden der Plädoyers.

Oldenburg – Im Prozess gegen den mutmaßlichen Serienmörder und Ex-Krankenpfleger Niels H. rückt das Urteil näher. Zunächst hat Oberstaatsanwältin Daniela Schiereck-Bohlmann am Donnerstag das Wort, und ihr Plädoyer dürfte mehrere Stunden dauern. Danach soll als erste Nebenkläger-Vertreterin Gaby Lübben ihren Schlussvortrag halten. Plädoyerberechtigt sind neben der Staatsanwaltschaft insgesamt 17 Nebenklagevertreter sowie die beiden Verteidigerinnen Högels. Das Urteil wird am 6. Juni erwartet.

Seit Prozessbeginn am 31. Oktober sorgte das Verfahren im In- und Ausland für Aufmerksamkeit. Der 42-Jährige ist des 100-fachen Mordes angeklagt. Der Deutsche wurde 2015 unter anderem wegen zweifaches Mordes schon zu lebenslanger Haft verurteilt und sitzt in der Justizvollzugsanstalt Oldenburg in Haft. H. soll seine 34 bis 96 Jahre alten Opfer von 2000 bis 2005 in den Kliniken Oldenburg und Delmenhorst mit Medikamenten zu Tode gespritzt haben.

Tödliche Spritzen zum „Angeben“

Seit Ende Oktober wurden zahlreiche Ex-Kollegen, Ärzte, Polizeiermittler und Gutachter als Zeugen vernommen. H. selbst war in der Anfangsphase des Prozesses tagelang vernommen worden. Er soll die Patienten mit Medikamenten in lebensbedrohliche Lagen versetzt haben, um sie anschließend zu reanimieren und so vor seinen Kollegen zu glänzen. Viele Patienten überlebten diese Verbrechen nicht. Die Ermittler der Sonderkommission gingen im August 2017 von der größten Mordserie in der deutschen Nachkriegsgeschichte aus.

„Auffällige Persönlichkeitsstörungen“

43 der 100 Taten räumte der Angeklagte in dem Prozess ein, fünf bestritt er. An die übrigen konnte er sich nicht erinnern. Er schloss aber auch nicht aus, diese Patienten getötet zu haben. Der psychiatrische Gutachter Henning Saß hält den 42-Jährigen für schuldfähig, attestierte ihm aber auffällige Persönlichkeitsstörungen. Er wies auf die Möglichkeit einer Sicherungsverwahrung hin, die dem Schutz der Allgemeinheit vor Straftätern dienen soll. Die Voraussetzungen lägen bei H. vor, da es ihm an Scham, Schuld, Reue und Empathie fehle.

Der Prozess wurde auch von internationalen Medien beobachtet. Die New York Times schrieb vorige Woche: „Deutscher Serienmörder hinterlässt so viele Fragen wie Opfer“. Die Zeitung bemerkte auch, dass das Verfahren teilweise eher einer Wahrheitskommission als einem Strafprozess glich.

Der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann hatte den Angeklagten im Laufe des Prozesses immer wieder ermahnt, umfassend auszusagen und nichts zu verschweigen. „Es ist für die Wahrheit nie zu spät“, so Bührmann noch im Februar, als die Zeugenaussagen schon zu zwei Drittel abgeschlossen waren. Schon lange vor dem Prozess hatte der Richter auch im Interesse der Angehörigen der Opfer klar gemacht, worum es eigentlich geht: um die Suche nach der Wahrheit und um Transparenz. „Das ist der Sinn des Prozesses: so weit wie möglich Klarheit zu schaffen.“ (dpa)