Heftige Anleitungen zur Wachsamkeit
Vielstimmiger Auftakt der Wiener Festwochen: ein argentinischer Theater-Marathon und Markus Öhrns aufrüttelnder #MeToo-Kommentar.
Von Bernadette Lietzow
Wien – Der Anpfiff ertönt in der Erste-Bank-Arena. In und rund um die Eissporthalle in der transdanubischen Donaustadt starteten am vergangenen Wochenende die Wiener Festwochen, Ausgabe eins der Intendanz des belgischen Kurators Christophe Slagmuylder, den Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler als Nachfolger des glücklosen Tomas Zierhofer-Kin nach Wien holen konnte.
Die erste Theaterproduktion entführt in die fiktive Stadt „Diamante“, in die elitäre, nach außen abgeschirmte Werkssiedlung eines zum Technologie-Weltkonzern geschwollenen Bergbauunternehmens mitten im nordargentinischen Dschungel. Zehn Häuschen sind da auf Kunstrasen errichtet, ein jedes Haus erzählt über Spielszenen und eingeblendete Texte vom Schicksal der Bewohner.
Gut fünf Stunden ist man Zaungast einer durch hyperkapitalistische Maßnahmen und Übersättigung zunehmend in Schieflage geratenden Bürger-Gemeinschaft. Entwickelt das im vergangenen Jahr bei der Ruhrtriennale erstmals gezeigte Projekt des aus Buenos Aires stammenden Regisseurs Mariano Pensotti anfangs eine beachtliche Sogwirkung, so fasert das Unternehmen doch zunehmend in allzu Absehbares aus.
Ins Studio Molière des Wiener Lycée Français lädt die auf drei Abende verteilte Uraufführung von „3 Episodes of Life“ des schwedischen Künstlers Markus Öhrn. In Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Myra Åhbeck Öhrman stellt Öhrn unangenehme Fragen: nach Macht und Missbrauch im (männlich dominierten) Kunst- und Kulturbereich ebenso wie nach dem voyeuristischen Kitzel, wenn die dunkle Schmuddelecke von Stars ausgeleuchtet wird. Formal als Stummfilme angelegt, begleiten Arno Waschk (Komposition und Klavier) sowie Dorit Chrysler (Komposition und Theremin) musikalisch Episode eins und zwei. Sie tragen ebenso die mit Riesenaugen und Schlauchlippen versehenen Masken wie die Protagonisten der Filme.
In Teil eins gerät eine neue Tänzerin (Janet Rothe) in einen Probenprozess, der vom manipulativ die Frauen (u. a. die österreichische Performerin Florentina Holzinger!) animierenden Regisseur (Jakob Öhrman) zu einer Initiations-Überwältigungs-Orgie mit Körperflüssigkeiten von Sperma, Blut bis Kot geformt wird. Im Hotelzimmer, Achtung: weißer Bademantel, soll die Arbeitsbeziehung vertieft werden, bevor im letzten Abschnitt der Regisseur im eleganten Dreiteiler bei einer offensichtlich aufgrund von #MeToo-Vorwürfen der Tänzerin stattfindenden Pressekonferenz sein Fehlverhalten argumentativ so weit verdünnt, dass das Opfer gerichtet wird. Eine heftige Anleitung zur Wachsamkeit gegenüber den geltenden gesellschaftlichen Feinstrukturen.