Kinderschutz - „Zuversicht bedeutet, den Ernst der Lage zu erkennen“
Wien (APA) - Ins Zeichen der Zuversicht hat das österreichische Kinderschutzzentrum möwe seine Jubiläumstagung gestellt, die von Donnerstag ...
Wien (APA) - Ins Zeichen der Zuversicht hat das österreichische Kinderschutzzentrum möwe seine Jubiläumstagung gestellt, die von Donnerstag bis Freitag in Wien stattfindet. „Zuversicht bedeutet für mich hier auch, den Ernst der Lage zu erkennen“, sagte Hedwig Wölfl, Geschäftsführerin des Kinderschutzzentrums, im Rahmen eines Pressegesprächs. „Und auch, hinzuschauen und neue Handlungsspielräume zu entwickeln.“
Angesichts der täglichen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die in belastenden familiären Situationen aufwachsen oder von Gewalt betroffen sind, falle es ohnehin nicht immer leicht, zuversichtlich in die Zukunft zu schauen. „Mich stimmt zuversichtlich, dass man heute über das Thema reden kann“, meinte der deutsche Kinder- und Jugendpsychiater Jörg Fegert. Das sei nicht immer so gewesen. „Es hat sich sehr viel getan im Laufe meiner Karriere. Vor 30 Jahren war Kinderschutz noch weitgehend ein Tabuthema.“ Die Weltgemeinschaft habe sich aber entschlossen, mit der Kinderrechtskonvention vor 30 Jahren den Kinderschutz deutlich zu machen. In Österreich sei bereits damals die gewaltfreie Erziehung eingeführt worden, in Deutschland habe man diesbezüglich auf das Jahr 2000 warten müssen, in der Schweiz warte man immer noch.
Immer noch werden laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) 90 Prozent aller Gewaltfälle gegen Kinder in Institutionen nicht wahrgenommen. „Das ist eine riesige gesellschaftliche Herausforderung, die zu meistern ist“, so Fegert. „Doch es trauen sich heute viel mehr Menschen, darüber zu reden. Es gibt viel mehr Eltern und Klassenkameraden, die nicht mehr wegschauen.“ Obwohl vor 30 Jahren das Gewaltverbot gesetzlich festgelegt wurde, bleibt die Thematik laut der Soziologin Ulrike Zartler von der Universität Wien aktuell: „Wichtig ist es, Gewalt als Thema weiterhin präsent zu halten, um überhaupt darüber diskutieren zu können. Es ist nicht so, dass wir uns zurücklehnen könnten.“
„Bei der möwe geht es uns darum, dass es auch für Kinder, die in widrige Umstände geboren wurden, die in Belastungssituationen aufwachsen müssen, bewältigbar ist. Mit Unterstützung oder auch alleine“, betonte Wölfl. „Im Kinderschutz ist mir wichtig, dass die Opferrolle keine Zuschreibung sein darf, die auf ewig an einem Menschen picken bleibt, der von Gewalt betroffen ist. Sondern dass es neue Entwicklungsmöglichkeiten gibt und dass man diese auch unterstützen und fördern kann.“
So einiges habe sich beim Kinderschutz auch in der Forschung verändert. „Kinderschutz wird zunehmend ernst genommen“, erläuterte die Zartler. „Eines der Schlagworte ist Partizipation: Kinder werden als Personen wahrgenommen, die kompetent über ihr eigenes Leben Auskunft geben können. Wir als Erwachsene sind aufgefordert, geeignete Methoden dafür zu finden, die sie auch nicht überfordern.“ Ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass es wichtig ist, was Kinder zu sagen haben, sei eine ganz wichtige Basis dafür, wie „wir als Gesellschaft mit Kindern generell umgehen“. Kinder seien bereits so, wie sie sind, wertvolle Mitglieder der Gesellschaft, die auch eine Stimme haben sollen.
Die niederösterreichische Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ) sieht im Kinderschutz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Wolle man Kinder vor Gewalt schützen, sei es wichtig, mit der ganzen Familie zu arbeiten. Der Umgang mit neuen Medien und Technologien wurde grundsätzlich positiv gesehen, sei jedoch „herausfordernd“, waren sich die Experten einig. Die ganze Organisation von Freundschaft finde in sozialen Medien statt, um Kinder vor dort lauernden Gefahren effektiv zu schützen, „müssen wir Erwachsenen uns aneignen, wie die Kinder und Jugendlichen sich dort organisieren“. Kein Weg sei es, Handys komplett zu verbieten. „Die kulturelle Revolution ist da, ihr Kinder lebt uns vor, was man damit machen kann.“
Durch neue Medien wurden kürzlich auch gewalttätige Übergriffe in Schulen sichtbar. Die Politik müsse auf neue Möglichkeiten des Mobbings reagieren, meinte Königsberger-Ludwig. Hinsichtlich der Gewaltbereitschaft von Schülern gebe es durchaus bereits Beratung und Projekte an Schulen. „Dafür muss man Geld in die Hand nehmen und investieren.“ Sie sprach sich gegen die von der Regierung geplanten Time-out-Gruppen aus: „Ich halte wenig davon, dass man separiert.“ Auch Wölfl sieht nur bei „sehr aufgeheizten Situationen“ Sinn in Time-out-Gruppen. Vielmehr müsse man von einander lernen - Schüler, Lehrer und Eltern sollten ins Boot geholt werden. „Unsere Forderung ist, Kinderschutzrichtlinien zu erarbeiten, die wirklich zur Institution passen. Es ginge darum, im Vorfeld präsenter zu sein mit Gewaltschutzprojekten.“ Dann brauche es Maßnahmen wie Time-out-Gruppen auch nicht.
Die möwe Kinderschutzzentren gibt es, wie auch die Kinderrechte-Konvention in Österreich und das Gewaltverbotsgesetz in der Erziehung, seit 30 Jahren. Das Team umfasst heute mehr als 70 Mitarbeiter an sechs Standorten in Wien und Niederösterreich. Davon haben rund 60 psychologische, therapeutische oder eine ähnlich einschlägige Fachausbildung. Die Mitarbeiter erreichen laut Wölfl mehr als 10.000 Menschen im Jahr mit Beratungen, Begleitungen, Betreuungen oder Schulungen. Dazu gehören etwa die Prävention an Schulen, Beratung bei Verdacht auf Missbrauch und Gewalt, Prozessbegleitung, psychologische Diagnostik oder psychotherapeutische Nachsorge. Aktuell werden allein in der Prozessbegleitung 772 Fälle betreut, bei denen Kinder als Opfer von - meist sexuellem - Missbrauch durch ein Strafverfahren begleitet werden. Im heurigen Jahr kamen 163 Fälle dazu, erklärte Wölfl. In den Kinderschutzzentren der Möwe in Wien und Niederösterreich wurden im vergangenen Jahr 463 Kinder und Jugendliche psychotherapeutisch behandelt und 188 Familien aktuell in den sogenannten Frühen Hilfen begleitet.
(S E R V I C E - www.die-moewe.at)