Sex, Feuer, Jazz im Knast
Mit dem fabelhaft besetzten Weltmusical „Chicago“ ist Enrique Gasa Valga am Tiroler Landestheater ein grandioser, stürmisch gefeierter Wurf gelungen.
Von Ursula Strohal
Innsbruck –Das geniale „Chicago“ wird neu und spannend aufblühen, da es seit zwei Jahren zur Interpretation frei ist. John Kanders mitreißender Chicago-Jazz und Fred Ebbs Texte, zusammen die Musicalfassung eines Schauspiels aus dem Jahr 1926, waren bisher erreichbar, die Hemmschwelle legte der Regisseur und Choreograph Bob Fosse mit seinem so wunderbar eigenwilligen und schwierigen Tanzstil.
Nun durfte also Enrique Gasa Valga in beiden Funktionen ungeniert zugreifen und beschert dem Tiroler Landestheater einen glamourösen Abend, leidenschaftlich und sexy, verrucht und humorvoll. Helfried Lauckner baute die Gerüste und Gefängnismauern für die rasche Abfolge wechselnder Orte, Andrea Kuprian kleidete die Mädchen zwischen relativierter Knastkluft und Showfummel und die Männer sozial kenntlich. Thomas Gassners pointierte Dialogregie mit einigen Lokalbezügen und Brechungen ist eine gute Investition. Licht und Ton braucht man hier in bester Qualität (Florian Weisleitner, Lukas Ossinger).
Zwei Mörderinnen, die aus dem Nichts auf den Flügeln der Sensationspresse ohne Scheu vor Fake News in den Starruhm aufsteigen und rasch verglühen, Korruption, zynische Unmoral und Dekadenz der späten Zwanzigerjahre sind der bittere Unterton der Autoren. Vergessen die neunzig Jahre seither, dass „Chicago“ Samstagabend Premiere hatte, da die Staatskrise brannte und der Eurovision Song Contest flimmerte, war Zufall …
An der Besetzung wurde nicht gespart, aufgeboten waren eine Schar junger Musicalspezialisten, Überraschungen aus dem Ensemble, der Extrachor, die Tanzcompany, Gruppen mit verschiedenen Aufgaben, die sich bestens mischten. Und natürlich ein Ensemble aus dem Tiroler Symphonieorchester Innsbruck unter der Leitung des vielseitigen Hansjörg Sofka, das großartig jazzte und mit seinen Tänzen in die Glieder fuhr, fabelhaft wie auch die Bühne in den Übergängen.
Gasa Valga bot mit Kraft und Feuer seine choreographische Vielseitigkeit auf, ein bisschen Bob-Fosse-Zitat durfte da nicht fehlen. Das Libretto zwischen Sex, Satire, Intrige und Intelligenz bekam er auch als Regisseur gut in den Griff, den – deutsch gesungenen – berühmten Nummern sicherte er die ihnen zustehende Aufmerksamkeit. Miriam Neumaier ist als blonde Roxie glaubhaft und doch mit leiser Ironie so dumm-naiv wie bösartig, Sophie Berner eine durch und durch brillante Velma, beide stimmstark und tänzerisch perfekt. Randy Diamond erreichte als Flynn seine Stärke nach der Pause, der Countertenor Victor Petersen hat seine großartige Mary Sunshine schon in Stuttgart, Berlin und Paris erprobt. Florian Stern ist wieder berührend als Amos Hart und sorgt für stille Minuten, Susanna von der Burg wird als Mama Morton zur Diseuse.
Andrea De Majo ist der schlüpfrig wendige Conférencier, den Cellblock Tango teilen sich Conchita Kluckner-Zandbergen, Sophie Mefan, Suzana Novosel, Katharina Wollmann und Greta Marcolongo. In mehreren Rollen fügen sich Bernhard Wolf, Markus Oberrauch und Tamara Burghart ein.