Literatur

Von inneren Stürmen gepeitscht

Gerhard Roth bewegt sich mit dem Helden des neuen Romans auf verschlungene­n Wegen durch ein verwirrendes Venedig.
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Traumwandlerische Kriminalstory: Gerhard Roths neuer Roman „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“.

Von Bernadette Lietzow

Wien –Ein Zitat aus Shakespeare­s „Der Sturm“ dient als Titel und Leit­gedanke von Gerhard Roths jüngstem Roman, mit Shakespeares Theaterstück unterm Arm entlässt der Autor seinen Helden auf den letzten Zeilen in das wiederentdeckte Lebensglück. Dieser, der Übersetzer Emil Lanz, ist eindeutig weniger liebenswert als der Protagonist von Roths erstem seiner als Trilogie angelegten Venedig-Romane, die auf verschlungenen, für das Lesepublikum streckenweise höchst genussreichen Wegen die dunkle Seite der Serenissim­a erkunden.

Stellte sich mit Michae­l Aldria­n („Die Irrfahrt des Michael Aldrian“, 2017) ein bezaubernd verschrobener, in seiner Persönlichkeit sehr plastischer Suchender den Lesern vor, so sperrt sich die Hauptfigur in „Die Hölle ist leer – die Teufel sind alle hier“ (S. Fischer) einer intensiveren Fiktiv-Begegnung, ist schlussendlich mehr vom Autor bewunderter Haudegen wider Willen als facettenreicher Charakter. Nicht zuletzt darf Lanz mit einem Arsenal zwischen Glock und Beretta seine Schießkünste erproben, denen einige Ganoven zum Opfer fallen werden. Recht so, es handelt sich ja erneut um einen „Verbrechensroman“, wie Roth seine mit einer Krimi­geschichte verwobenen literarischen Venedig-Streifzüge bezeichnet.

Bevor Emil Lanz jedoch zum Lagunen-Pistolero mutiert, plant er, dem die eigene Existenz scheint, „als führte er ein totes Leben“, auf Torcello Selbstmord zu begehen. Dass diese Insel im aufgrund nicht mehr wahrnehmbarer Gezeiten „Laguna mort­a“ genannten Abschnitt der Lagune liegt, ist gewiss eine der verschmitzten Pointen des unermüdlichen Venedig-­Erkunders Roth.

Nach ausgedehntem Abschieds-Spaziergang, bei dem man dem unglücklichen Protagonisten durch dessen Gedankenwelt wie durch eine in schillernden Sprachfarben ausgemalte Natur in die Basilika Santa Maria Assunta folgt, vereiteln drei Flaschen Rotwein das Entleibungsvorhaben. Dafür wird der wahrhaftig unterm Hollerbusch gelandete Lanz Zeuge eines grausamen Mordes und in der Folge mit brenzligen Situationen, eigentümlichen Begegnungen, Mord­versuchen und nicht zuletzt Liebesabenteuern konfrontiert, die ihn zurück ins Leben führen werden.

Freude bereitet das Buch mit Sicherheit jenen, die sich über die knapp 370, in fünf Abschnitte unterteilten Seiten Lanz’ ausschweifenden Denkgebäuden ergeben. Kenntnisreich entfaltet Roth dessen Wanderungen zwischen Traum und Realität und die Versuche, sich seine Wirklichkeit zu konstruieren. Dass die Figur dieses Lanz dabei mehr Vehikel ist, um Metaphysisches und Philosophisches zur nicht zuletzt zerstörerischen Natur des Menschen oder Wissenswertes zur Geschichte des Ghettos von Venedig bis hin zu Astronomie einfließen zu lassen, ist oft genug augenscheinlich.

Zu holprig geraten die Übergänge zu „Sex and Crime“, wo sich am Leid von Flüchtlingen reich gewordene Schlepperbanden bekriegen und sowohl die undurchsichtige Amerikanerin Julia als auch die venezianische Archäologin Caecilia dem nicht wirklich nachvollziehbaren Charme des Romanhelden verfallen. In ihrer großzügigen Verstiegenheit sinnlicher geraten die Episoden mit dem bizarren Personal, das den Weg von Roths Helden kreuzt.

Ein bayerischer Falkner wird zum Schutzengel des gejagten Übersetzers, die Begegnung mit dem blinden Bienenzüchter Janca verweist auf Teiresia­s, den blinden Propheten der griechischen Mythologie, wie auch das De-Chirico-Porträt des inzwischen greisen Millionär­s Egon Blanc. Dieser entpuppt sich als Lanz’ Wohltäter, dem Gerhard Roth als James-Bond-reifes Altenteil ein weißes Luxusrefugium in den lichten Höhen des Mont Blanc errichtet. Zudem tobt, zu den inneren Stürmen, denen sich der Protagonist entgegenstemmen muss, ein wahrhaft biblischer Orkan, bevor Lanz seine Mitte wiederfindet. Vielgestaltig ist dieses Buch und als solches Lesegenuss, Anregung zum Weiterdenken und streckenweise doch ein Zuviel des Guten.