30 Jahre nach Tiananmen-Massaker - Warnungen vor Chinas neuer Macht

Taipeh (APA/dpa) - Vor dem 30. Jahrestag des Massakers vom 4. Juni 1989 haben Aktivisten und Akademiker vor wachsenden Gefahren durch das di...

Taipeh (APA/dpa) - Vor dem 30. Jahrestag des Massakers vom 4. Juni 1989 haben Aktivisten und Akademiker vor wachsenden Gefahren durch das diktatorische System in China für die Welt gewarnt.

Auf einer dreitägigen Konferenz in der taiwanesischen Hauptstadt Taipeh riefen frühere Studentenführer, Bürgerrechtler, Politiker, Wissenschafter aus Hongkong, Taiwan und den USA auch zu einer ehrlichen Aufarbeitung des dunklen Kapitels der chinesischen Geschichte auf. Es dürfe nicht in Vergessenheit geraten.

Bei der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung in China waren 1989 mindestens einige hundert Menschen ums Leben gekommen. Der renommierte Forscher Wu Renhua hält sogar die Zahl von 2.600 Toten für realistisch, wie er auf dem Treffen sagte. So viele habe damals das chinesische Rote Kreuz genannt. Die genaue Zahl ist aber bis heute nicht bekannt. Tausende wurden verletzt und inhaftiert.

„Ich will die Wahrheit wissen“, sagte der heute in den USA lebende Bürgerrechtler Fang Zheng. Als Student hatte er bei der Evakuierung des Tiananmen-Platzes beide Beine verloren. Ein Panzer hatte ihn überrollt, nachdem er eine Kommilitonin in Sicherheit gebracht hatte, die vom Tränengas ohnmächtig geworden war. Die kommunistische Führung schweigt die damaligen „Zwischenfälle“ bis heute tot und zensiert alles zu dem Massaker, das offiziell als Tabu gilt.

Die Repression in China habe unter Staats- und Parteichef Xi Jinping noch zugenommen, während das stärker werdende China immer größeren Einfluss auf der Weltbühne ausübe, beklagten Redner auf dem Treffen vor rund 200 Teilnehmern. „China streckt seinen Arm nach der westlichen Welt aus“, sagte der ehemalige Studentenführer Wang Dan. „Unter Xi Jinping tritt die Welt in eine neue imperiale Ära ein“, warnte der Politiker Albert Ho aus Hongkong.

Die zunehmenden Handelsstreitigkeiten mit China zeigten, dass die internationale Gemeinschaft „besorgt ist, dass China seine wachsende wirtschaftliche Macht benutzen könnte, um regionale oder sogar globale Vorherrschaft anzustreben“, sagte einer der Organisatoren, Professor Joseph Cheng aus Hongkong. Gründe seien „Chinas aggressive Außenpolitik und sein Ehrgeiz, seinen Einfluss auszudehnen“.

Indem die Volksbefreiungsarmee 1989 auf das eigene Volk geschossen habe, habe die Kommunistische Partei ihre Legitimität verloren, sagte der französische China-Professor Michel Bonnin. So hätten ihre Führer Zuflucht im Nationalismus gesucht. Heute benutzten sie auch die neuen digitalen Überwachungsmöglichkeiten. George Orwells dystopischer Roman „1984“ erscheine im heutigen China „immer realistischer“.

Da die Führer in Peking auch den Druck auf die frühere britische Kronkolonie Hongkong verstärkt, „bleibt nur noch Taiwan als Ort, wo die chinesische Gemeinschaft frei sprechen kann“, sagte einer der Organisatoren, Tseng Chien-yuan, Vorsitzender der Neuen Schule für Demokratie in Taiwan. Seit der Rückgabe 1997 an China wird Hongkong als Sonderverwaltungsregion mit größeren Freiheitsrechten als in der Volksrepublik autonom regiert, doch verstärkt Peking den Griff.

Der amerikanische Demokratieforscher Larry Diamond kritisierte ein „bösartiges und aggressives Verhalten“ der chinesischen Führer gegenüber dem Volk. Der kommunistische Staat stelle zunehmend auch weltweit eine Bedrohung für Freiheit, Demokratie und den freien Fluss von Informationen dar, sagte der Stanford-Professor. „Wir können nicht trennen, was sie in China tun und was sie auf der Weltbühne tun.“

„Die Hoffnungen, dass das beständig voranschreitende globale Engagement Chinas und seine Modernisierung zu einer offeneren Gesellschaft führen würde, haben keine Früchte getragen“, sagte Diamond. Er berief sich dabei auf das Ergebnis einer Studie mit namhaften China-Forschern: „Es versucht zunehmend, seine globale Macht und seinen Einfluss durch versteckte, zwangsweise und korrupte Mittel auszuweiten, was eine Bedrohung für die Demokratien der Welt ist.“

Die westlichen Regierungen seien nach dem Massaker „naiv“ gewesen, die Beziehungen wieder zu normalisieren - in der falschen Hoffnung, dass sich China politisch und wirtschaftlich reformieren würde, sagte der Studentenführer Wang Dan. Das sollte ihnen heute eigentlich eine „große Lehre“ sein. Doch seien sie jetzt „wieder naiv“.