Misstrauensantrag: Kurz kämpft bis zuletzt gegen den Kanzlersturz
Der politische Poker wird immer spannender. Am Montag könnte eine parlamentarische Mehrheit dem Kanzler das Misstrauen aussprechen.
Von Michael Sprenger
Wien –Hektisches Treiben allerorten. In allen Parlamentsparteien herrscht Ausnahmezustand. Im Kanzleramt versucht Sebastian Kurz (ÖVP) Überzeugungsarbeit in eigener Sache zu leisten. Denn am Montag kommt es in der österreichischen Parlamentsgeschichte der Zweiten Republik zu einem einzigartigen Ereignis. Ein Misstrauensantrag könnte den amtierenden Bundeskanzler stürzen. Anders als in der Vergangenheit kann sich der Kanzler nicht auf eine Parlamentsmehrheit verlassen, die ihm das Vertrauen ausspricht.
Nachdem am Freitagabend das Skandal-Video aus Ibiza veröffentlicht wurde, ist alles anders. Vizekanzler und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache und sein Klubobmann Johann Gudenus mussten zurücktreten. Der Bundeskanzler verlangte nach dem Wochenende zudem die Abberufung von FPÖ-Innenminister Herbert Kickl. Daraufhin zogen (mit Ausnahme von Außenministerin Karin Kneissl) die anderen FPÖ-Minister aus der Regierung aus – und die rechtskonservative Koalition ist 17 Monate nach ihrer Angelobung Geschichte.
Seit Mittwoch regiert de facto eine ÖVP-Minderheitsregierung. Am Montag, 10 Uhr, treffen die Abgeordneten zu einer von der Opposition beantragten Sondersitzung des Parlaments zusammen.
Ein oder mehrere Misstrauensanträge sollen zur Abstimmung gebracht werden. Entweder gegen Kurz oder gegen die gesamte Bundesregierung. Auch hierzu wird in den Parteien noch gefeilt. Die Liste Jetzt will jedenfalls Kurz das Misstrauen aussprechen. In der SPÖ stehen ebenfalls die Zeichen auf Kanzler-Sturz, aber man spricht es noch nicht offen aus. In der FPÖ gibt man sich bedeckt, doch auch beim früheren Koalitionspartner kann Kurz nicht mehr auf Vertrauen pochen.
Einzig die NEOS wollen den Misstrauensantrag nicht mittragen.
Kurz versuchte gestern Nachmittag mit ausgestreckter Hand in Gesprächen mit der Opposition das Ruder noch einmal zu seinen Gunsten herumzureißen. Er lud die Parteichefs ins Kanzleramt. Doch Rote, Blaue und die Liste Jetzt reagierten auf eine Einladung des Kanzlers mit einer Provokation und schickten nur den stv. SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried, FPÖ-Klubobmann Walter Rosenkranz und den einfachen Jetzt-Abgeordneten Peter Pilz hin. Kurz unterbreitete dabei mit Blick auf den Montag ein Angebot. Er bot unter anderem die Fortsetzung der beiden U-Ausschüsse nach der Wahl sowie die Teilnahme aller Klubchefs an Ministerratssitzungen bis zur Wahl an.
Heute Vormittag will Kurz noch mit allen neun Landeshauptleuten für seine Sache werben. Zugleich rückte am Donnerstag eine ÖVP-nahe Gemeinschaft aus, um für den Verbleib der ÖVP-dominierten Übergangsregierung unter Kurz Position zu beziehen.
EU-Kommissar Johannes Hahn (ÖVP) hat in der Regierungskrise vor einer Schwächung österreichischer Interessen in der EU gewarnt. Es gehe jetzt darum, dass Österreich entsprechend bei der zukünftigen Gestaltung Europas mitreden könne. „Das geht nur aktuellerweise mit einem Kanzler Kurz und nicht mit einem Beamtenkanzler.“ Auch Wirtschaftskammer- und Wirtschaftsbundchef Harald Mahrer und der frühere EU-Kommissar und Präsident des Europäischen Forums Alpbach, Franz Fischler, sprachen sich für den Verbleib von Kurz als Kanzler aus.
Bundespräsident Alexander Van der Bellen forderte am Donnerstag neuerlich alle Seiten zum Dialog auf. Und bei alledem sollte nicht vergessen werden: Vor der historischen Sitzung findet noch die EU-Wahl statt. Ihr Ergebnis könnte Auswirkungen auf das Abstimmungsverhalten der 183 Abgeordneten haben.
Die Parlamentssitzung am Montag beginnt um 10 Uhr. Spannend wird es um 13 Uhr – mit Beginn der Debatte.
Ein Fünftel der Abgeordneten (also mit den Stimmen der ÖVP) könnte noch den Misstrauensantrag laut Geschäftsordnung um 48 Stunden verschieben. Derzeit will aber die ÖVP von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch machen. Während der Sitzung könnte auch noch eine geheime oder namentliche Abstimmung verlangt werden. In beiden Fällen ist hierfür die Unterstützung von 20 Abgeordneten notwendig.