Uni Innsbruck

„Digitalisierung verändert die Art, wie Wissenschaft betrieben wird komplett“

Rektor Tilmann Märk.
© LFU

Hugo Müllner im Gespräch mit Rektor Tilmann Märk und Professor Justus Piater, dem Leiter des neu gegründeten Forschungszentrums „Digital Science Center (DiSC)“ über die Herausforderungen durch die Digitalisierung und wie die Universität Innsbruck diesen begegnet.

Die Digitalisierung beginnt die Welt enorm zu verändern und wird dies noch weiter tun. Wo steht die Leopold-Franzens-Universität in diesem Wandel?

Tilmann Märk: Zuerst ist Digitalisierung ja nur ein Schlagwort, das für viele jeweils eine andere Bedeutung hat. Wir machen uns darüber bereits seit mehreren Jahren Gedanken, weil die Digitalisierung letztlich die Gesellschaft, die Wirtschaft und damit auch die Universität verändert hat und noch verändern wird. Es wird – davon gehen alle aus – kein Stein auf dem anderen bleiben. Wir als Universität wollen hier natürlich nicht nachhinken, sondern vorausgehen und vorausdenken. Deswegen haben wir bereits vor zwei Jahren in unserem Entwicklungsplan festgelegt, dass wir eine große Digitalisierungsinitiative basierend auf einer entsprechenden Digitalisierungsstrategie entwickeln werden. Dies setzen wir jetzt sukzessive um, indem wir das Thema „Digitalisierung“ in allen Bereichen, insbesondere in Lehre und Forschung mitdenken und entsprechend weiterentwickeln werden.

Wie sieht dies nun konkret aus?

Justus Piater ist auf intelligente Systeme spezialisiert.
© Privat

Justus Piater: Es geht um die Transformation der Wissenschaften durch digitale Methoden. Und das zieht sich durch sämtliche Fachbereiche, besonders aber durch solche, die traditionell nicht mit Computern oder datengetriebenen mathematischen Methoden und Modellen gearbeitet haben. Das verändert komplett die Art, wie Wissenschaft überhaupt betrieben wird. Zum Beispiel in der Literaturwissenschaft: Hier werden Texte jetzt mit quantitativen Methoden analysiert. Nun ist es aber so, dass die entsprechenden WissenschaftlerInnen traditionell in diesen mathematischen und „machine-learnig“ Methoden nicht so gut ausgebildet sind. Daher werden wir dem Ganzen einen nachhaltigen „Schubs“ versetzen. Wir haben eine neue Anlaufstelle geschaffen und werden künftig gezielt FachwissenschaftlerInnen mit einem starken Hintergrund in diesen digitalen, datengetriebenen Methoden anstellen, damit wir diese Kompetenzen in diesem Zentrum bündeln können. Das ist wichtig, weil sich die Methoden interdisziplinär durchaus überschneiden und wir somit die Synergien nutzen. Letztlich wird über diese „ExpertInnen“ das erweiterte Fachwissen dann wieder zurück in die Fachdisziplinen getragen.

Märk: Ja, da haben wir groß gedacht und ein neues Forschungszentrum errichtet, das „Digital Science Center - DiSC“, das Kollege Piater leiten wird. In diesem Forschungszentrum bündeln wir organisatorisch alle Aktivitäten für alle Fächer, um den oben beschriebene „Boost“ für die Forschung zu erzielen. Dafür haben wir 15 Nachwuchs-Professuren geschaffen und werden im DISC noch drei bis fünf „normale“ Professuren implementierten.

Viele Menschen haben zunehmend Angst vor der rasenden Geschwindigkeit mit der die digitale Transformation unser Leben verändert. Wo steht nun eine Universität zwischen dem „verzweifelten“ Versuch des „Bewahrens“ und dem „Furor“ der Erneuerung und wie geht sie damit um?

Märk: Wissen, alt oder neu, weiterzugeben bedeutet vor allem weiterzugeben, wie man mit diesem Wissen umgeht. Der Hintergrund ihrer Frage hat uns zur Gründung unseres Digital Science Centers bewogen. Denn wir müssen dieses Thema umfassend bearbeiten, mit allen einer Universität zur Verfügung stehenden Mitteln, um die möglichen Folgen dieser Transformation umfassend verstehen und einschätzen zu können. Genau deshalb ist auch die Rückbindung unseres neuen Forschungszentrum DiSC zu allen 16 Fakultäten enorm wichtig.

Jetzt haben wir ja hauptsächlich über die Forschung gesprochen. Wie schaut das künftig in der Lehre aus?

Märk: Wir wollen unseren Studierenden die Chance geben, „digitalfit“ zu werden. Daher haben wir ein „Erweiterungsstudium“ eingerichtet, in dessen Rahmen Studierende, die ein Bachelor- oder Masterstudium abgeschlossen haben, ein einjähriges Studium in angewandter Informatik absolvieren können.

Piater: Die in diesem Studium erworbenen Programmierkompetenzen sind natürlich nicht mit einem kompletten Informatikstudium zu vergleichen, sie erlauben den AbsolventInnen aber auf jeden Fall die erworbenen Kenntnisse in ihrem jeweiligen Fachgebiet einzusetzen und neue Ideen und Forschungsansätze zu entwickeln. Wir lehren dazu hier ganz spezifische Teilbereiche aus dem Informatikstudium.

Märk: Wir bieten außerdem den Studierenden unserer meisten Studienrichtungen die Möglichkeit, eines der sechs Semester in ihrem Bachelorstudium dafür zu nutzen, sich Grundkenntnisse in der Informatik anzueignen. Auch hier wird die Lehre ganz spezifisch auf das entsprechende Fach zugeschnitten.

Ebenfalls neu ist der Lehrgang „Digital Business“ im Bereich Betriebswirtschaft, der im Wintersemester zum zweiten Mal startet. Weiters haben wir in den letzten Jahren – dort wo es Sinn macht - auch die Didaktik in der Lehre digitalisiert. Das heißt, wir setzen unter anderem auch auf „virtuelle“ Lehrveranstaltungen, indem wir diese in beide Richtungen streamen. Das kommt beispielsweise auch im Mechatronikstudium in Lienz oder bei der Lehrerausbildung in Vorarlberg zum Einsatz.

Naturgemäß stellt sich auch die Frage, wie finanziere ich dieses doch umfangreiche Vorhaben?

Märk: Zum einen stemmen wir dieses Programm aus dem „normalen“ Wachstum, zum anderen wird die Umsetzung durch die neue Studienplatzfinanzierung ermöglicht, wo wir im Laufe der nächsten drei Jahre insgesamt 45 neue Professoren-Stellen haben werden.

Sind hier die 20 neuen Stellen im DISC schon inkludiert?

Märk: Diese 20 Stellen gehören ja zu unserer „Sonderaktivität Digitalisierung“. Die WissenschaftlerInnen hier sind zur Hälfte am DISC und zur Hälfte in ihrer Fachwissenschaft tätig. Daher kommt ein Teil dieser Stellen aus unserem Wachstum, also unserem normalen Budget, ein zweiter Teil kommt aus der Studienplatzfinanzierung. Hier vor allem dort, wo wir noch schlechte Betreuungsverhältnisse haben, beziehungsweise dort, wo wir speziell investieren wollen. Das ist beispielsweise im Bereich der MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) der Fall, die ja besonders in der Wirtschaft nachgefragt sind.

Und der dritte Teil der Finanzierung kommt tatsächlich über Stiftungen. Hier sind wir sehr gut unterwegs und haben einige Stiftungsprofessuren vor kurzem einrichten können, unter anderem eine Stiftungsprofessur im Bereich „Big Data“ oder im Bereich „Leistungselektronik“. Und so wird das Gesamtpaket für die Universität finanzierbar.

Universitäten, die eng mit der Wirtschaft zusammenarbeiten, werden hierzulande, anders als zum Beispiel in den USA, häufig dafür kritisiert.

Märk: In Österreich wurde diese Entwicklung, enger mit Unternehmen zu kooperieren, mit dem Universitätsgesetz 2002 eingeleitet. Dort wird explizit darauf hingewiesen, dass die Universitäten über die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft den Transfer von Wissen und Technologie in die Gesellschaft intensiver und umfassender gestalten soll. Wir haben uns dem von Beginn an sehr ernsthaft angenommen und damit hat die Universität Innsbruck natürlich auch einen Paradigmenwechsel vollzogen. Schon seit der Gründung der Universität findet der Transfer von Wissen in die Gesellschaft und damit auch in die Wirtschaft durch unsere gut ausgebildeten AbsolventInnen statt. Zusätzlich arbeiten wir aber in letzter Zeit viel intensiver und kooperativer mit Unternehmen im Rahmen von Forschungsprojekten zusammen. Nicht zu vergessen sind unsere Ausgründungen, wo wir sozusagen als Entrepreneur aktiv werden.

Wir können schon sagen, dass wir nun seit einigen Jahren, ähnlich wie Universitäten in Amerika oder Israel, in einer sehr aktiven Wechselwirkung mit der Gesellschaft und der Wirtschaft stehen. Zudem unterstützt die EU das mit 150 Millionen Euro im Rahmen des neuen Horizon-Förderprogramm. Hier haben sich auch für die Universitäten große Möglichkeit aufgetan, die wir natürlich intensiv nutzen. Ich bin hier sehr zuversichtlich, weil wir ein gut funktionierendes Projektservicebüro haben und uns bei der Einwerbung von Drittmittel in den letzten Jahren auf einem sehr erfolgreich Wachstumskurs befinden. So konnten wir die im Jahr 2018 eingesetzten Drittmittel aus Forschungsprojekten im Vergleich zum Vorjahr von 44 auf 49 Millionen Euro steigern.

Herr Prof. Piater, Sie arbeiten hauptsächlich im Bereich Robotik. Was tun Sie genau?

Piater: Ich bin seit 2010 in Tirol und habe hier meine Arbeitsgruppe „Interaktive und intelligente Systeme“ gegründet. Wir versuchen Robotern beizubringen, ihre Umgebung soweit zu verstehen, dass sie mit ihr sinnvoll interagieren können. Da geht es wirklich um verstehen, im Gegensatz zu Industrierobotern, die in einer geschützten Umgebung „nur“ das Eine tun, das sie tun sollen, also beispielsweise zwei Karosserieteile miteinander zu verschweißen. Mein Ziel ist, autonome System zu konstruieren, die sich in unstrukturierten, für Menschen gemachte Umgebungen zurechtfinden und nützlich machen, beispielsweise in der Form von Haushaltsrobotern. Das heißt aber, ein Roboter muss komplexe konzeptuelle Vorgänge erlernen, auf denen er wiederum aufbauen und neues lernen kann. An sich genau so, wie Kinder die Welt „erlernen“. Aber davon sind wir heute noch ein ganzes Stück weit entfernt.

Das Interview führte

Hugo Müllner

Weitere Infos

Digital Science Center DiSC:https://www.uibk.ac.at/disc/

Erweiterungsstudium Informatik:

https://www.uibk.ac.at/studium/angebot/es-informat...

Ergänzungen zum Studium:

https://www.uibk.ac.at/studium/angebot/ergaenzunge...

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