40.000 bei Konzert im Happel-Stadion: Herr Collins übt den Sesseltanz
Phil Collins saß und sang im Ernst-Happel-Stadion vor 40.000 Fans. Der Auftakt seiner Europatournee am Sonntag war ein bittersüßes Best-of.
Von Barbara Wohlsein
Wien –Ganz ehrlich, so stellt man sich den Auftritt eines Weltstars nicht vor: Phil Collins kommt mit Gehstock auf die Bühne des Ernst-Happel-Stadions und setzt sich vorsichtig auf einen Sessel. „The foot is fucked“, erklärt der 68-Jährige dem Publikum lapidar und nimmt der ungewöhnlichen Konzertsituation zumindest ein wenig ihrer anfänglichen Schwere. Phil Collins ist nicht da, um sich Mitleid abzuholen. Also sollen sich die 40.000 Fans, die gekommen sind, gefälligst zusammenreißen.
„Against All Odds“, auf Deutsch „Gegen alle Widerstände“, ist der erste Song des lauen Sommerabends – wie passend. Seit einer Halswirbelverletzung und anschließenden Operation vor zehn Jahren ist Collins’ Fuß taub und auch die Sensorik seiner Finger ist eingeschränkt, was dazu führt, dass er weder Schlagzeug noch Klavier spielen kann. Seit 2016 steht bzw. sitzt der Brite trotzdem wieder auf der Bühne – zwar nur als Sänger, aber immerhin.
Den Rest der Bühnenshow übernehmen seine Mitstreiter. 14 Musiker und Sänger sind mit Phil Collins unterwegs, fast alle machen schon seit Jahrzehnten mit ihm Musik. Und so gerät die Vorstellungsrunde zur Halbzeit des Konzerts auch zu einem launigen Schlagabtausch zwischen Weggefährten.
Apropos Weggefährten: Collins’ ehemaliger Genesis-Kollege Mike Rutherford ist mit seiner Formation Mike & the Mechanics als Vorband in Wien dabei. Er wisse nicht, ob man sich noch daran erinnern könne, dass er vor Ewigkeiten in einer Band namens Genesis gespielt habe, kokettiert Phil Collins, bevor er den ersten Hit anstimmt. Begleitet wird die Zeitreise von alten Bandaufnahmen, die über die riesige LED-Wand flimmern. Man sieht Collins in grauenhaften Achtziger-Anzügen und mit Vokuhila herumhüpfen – ach, die gute alte Zeit.
Zu viel Melancholie ist aber nicht angebracht, schließlich gibt es noch einiges zu tun. Denn wenn man Collins auf eine Errungenschaft reduzieren müsste, dann wäre es wohl jene, die größten Hits der Achtziger und Neunziger produziert zu haben. Another Day in Paradise, Dance Into The Light, One More Night, Don’t Lose My Number, A Groovy Kind Of Love – immer, wenn man an diesem Abend denkt, dass jetzt alle großen Nummern gespielt wurden, kommt auch schon der nächste Kracher um die Ecke.
Nur selten nimmt sich Collins Zeit für ruhigere Zwischentöne, singt ein Duett mit einer Background-Sängerin, die er „the delicious Bridget“ nennt und sie bittet, ihren Hintern neben seinen zu platzieren. Ein berührender Moment ist jener, als sich Collins mit seinem 18-jährigen Sohn Nicholas ans Klavier setzt. Nicholas, der auf der Tour als Drummer fungiert und offensichtlich Papas Talent geerbt hat, performt mit ihm „You Know What I Mean“, einen Song, den er beim Durchforsten seines Frühwerks entdeckt habe. Es sei das einzige Lied, das ihm gefalle, scherzt der stolze Vater.
Bei „In The Air Tonight“ sammelt Phil Collins schließlich all seine Kräfte und erhebt sich aus dem Sessel. Das Stadion singt und tanzt, die Ränge sind ein Lichtermeer. Die Wucht des Songs spürt man auch fast 40 Jahre nach Veröffentlichung mit jedem Akkord. Der selbstironische Titel der aktuellen Tour „Still Not Dead Yet“ war nie so passend wie in diesem großen Musikmoment.