„Leichter reizbar“: Gewaltige Hitze schürt Aggressionen
Der Anstieg der Temperaturen erhitzt die Gemüter. Der Körper steht unter Stress. Menschen werden reizbarer und wütender. Das kann zunehmend zu Gewalt führen, warnen Forscher. Abkühlung ist geboten.
Von Deborah Darnhofer
Innsbruck, Wien –Gedränge vor dem Eingang zum Freibad. Die Stimmung ist aufgeheizt, immer mehr Menschen wollen zum kühlen Nass. Doch das Bad ist voll. Aus Sicherheitsgründen wird ein Einlassstopp verfügt. Die Besucher werden wütend, werfen mit Steinen Richtung Eingang und beschimpfen das Badpersonal. Die Polizei rückt mit 13 Streifen an, 30 Platzverweise werden erteilt.
Was nach einem schlechten Film klingt, ist letzte Woche am Waldsee im deutschen Raunheim (Hessen) Realität geworden. Hohe Temperaturen erhitzen die Gemüter, das ist durch wissenschaftliche Studien erwiesen. In den USA beschäftigen sich Wissenschafter seit Jahrzehnten mit dem Einfluss von Hitze auf Aggression, in Europa wird das langsam zum Forschungsthema. Gewaltforscher Craig Anderson von der Iowa State University wertete Kriminalitätsraten sowie Temperaturaufzeichnungen aus, verglich südliche mit nördlichen US-Bundesstaaten und führte Experimente durch. Laut ihm treten ab 32 Grad Celsius mehr Fälle häuslicher Gewalt, Beleidigung und Körperverletzung auf. Für die USA sei eine Untersuchung zum Schluss gekommen, dass eine Temperaturzunahme von gut einem Grad Celsius zu 25.000 zusätzlichen Fällen von schweren bis zu tödlichen Angriffen führe.
Hitze mache Versuchsteilnehmer auch anfälliger für negative Gefühle. Unter so genanntem Hitzestress zeigten sich Menschen demnach feindseliger, unsozialer und reizbarer. Gerhard Blasche, Psychologe an der Abteilung Umwelthygiene und Umweltmedizin der MedUni Wien, hat gegenüber der TT eine Erklärung: Hitze löst im Körper Stress und Anstrengung aus.
„Ab 29 Grad Celsius wird es unangenehm und unbehaglich. Der Körper reagiert mit thermoregulatorischen Maßnahmen und schüttet Adrenalin aus.“ Um Wärme abzugeben, wird der Kreislauf angekurbelt. Das Herz schlägt schneller, das Blut wird in die Haut gepumpt und Schweiß abgesondert. Die körperliche Stressreaktion und das Unbehagen würden auf der Stimmungsebene eher zu Irritation führen, sagt der Wiener Psychologe. Das ausgeschüttete Adrenalin verstärke dies mitunter noch. Aggressionen könnten schneller auftreten.
„Bei Hitze ist man leichter reizbar“, bestätigt Blasche. Für ihn ist dabei jedoch „die Frage der Kontrollmöglichkeit“ entscheidend. Wer auf Urlaub in den Süden fährt oder in die Sauna geht, hat mit hohen Temperaturen weniger ein Problem, entscheidet er sich doch freiwillig dafür. Erst mit einem Gefühl der Aussichtslosigkeit, wie dem gesperrten Bad in Hessen, würden Gewalt und Aggressionen leichter auftreten. „Je weniger Kontrolle ich habe, desto eher kommt es zu einer Reizbarkeit.“
Dabei ergibt sich ein Problem, das in Zukunft – mit dem Anstieg der Temperatur – zunehmen könnte: Auf anhaltende Hitzeperioden seien unsere Kultur, Lebensweise und -räume noch wenig eingerichtet und Mitteleuropäer nur bedingt eingestellt. „Wichtig ist, sich aktiv damit auseinanderzusetzen“, betont Blasche. Er fordert künftig gezielte Maßnahmen und denkt etwa an längere Mittagsruhe, mehr Schattenplätze und Kühlräume. „Es braucht persönliche und kulturelle Maßnahmen. Auch die Arbeitsebene muss in den Blick genommen werden.“ Bei Hitze die gleiche Leistung erbringen zu müssen wie an kühleren Tagen, kann leicht zu Stress führen. Denn mit hohen Temperaturen setzt eine gewisse körperliche Ermüdung ein. Hinzu kommt wenig guter Schlaf, weil die Nächte weniger abkühlen. „Darunter leidet unsere Selbstkontrollfähigkeit. Das lässt uns leichter emotional entgleisen. Wir können das weniger gut abfangen.“
Gewalt während Hitzephasen ist aber keineswegs vorprogrammiert. Andere Faktoren spielen auch eine Rolle, sagen Konfliktforscher: Mehr Menschen halten sich bei Hitze draußen auf. Auch durch diesen Umstand sei das Aggressionspotenzial erhöht.