„Sea-Watch 3“-Kapitänin verteidigte Entscheidung vor Richter

Die Kapitänin der deutschen Hilfsorganisation Sea-Watch, Carola Rackete, hat nach Angaben ihres Anwalts in ihrer Vernehmung verteidigt, unerlaubt in einen italienischen Hafen eingefahren zu sein. Die 31-Jährige habe am Montag vor dem Ermittlungsrichter dargestellt, dass die Situation mit den Migranten an Bord „sehr angespannt“ gewesen sei, sagte der Rechtsanwalt Leonardo Marino am Dienstag.

Rackete habe darüber hinaus angegeben, das Boot der Finanzpolizei, das das Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ beim Einlaufen in den Hafen touchiert hatte, nicht gesehen zu haben. Am Dienstag muss ein Haftrichter im italienischen Agrigent entscheiden, ob er einen bestehenden Hausarrest für Rackete aufhebt. Die Entscheidung darüber müsse spätestens am Abend getroffen werden, könnte aber auch schon früher fallen, sagte Marino.

Möglich sei, dass die freiheitsentziehenden Maßnahmen gegen Rackete komplett aufgehoben werden. Alternativ könnte gegen sie ein Aufenthaltsverbot für die Provinz Agrigent verhängt werden, zu der auch die Insel Lampedusa gehört. Letzteres hatte die Staatsanwaltschaft gefordert.

Gegen Rackete werden in Italien schwere Vorwürfe erhoben. Ihr drohen zwei Prozesse, die in langen Haftstrafen enden könnten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr unter anderem vor, Widerstand gegen ein Kriegsschiff geleistet zu haben, was mit bis zu 13 Jahren Haft bestraft werden kann. Die Finanzpolizei ist in Italien militärisch organisiert und zählt dort zu den Streitkräften. Zudem wird wegen Begünstigung illegaler Migration ermittelt.

Die 31-jährige Deutsche war mit dem Rettungsschiff „Sea-Watch 3“ und 40 Migranten an Bord am Wochenende unerlaubt in den Hafen der italienischen Insel Lampedusa gefahren und wurde festgenommen. Die italienische Gesetzgebung sieht für das unerlaubte Einfahren schon in die Gewässer des Landes hohe Geldstrafen vor. Die „Sea-Watch 3“ wurde beschlagnahmt.

Der italienische Innenminister Matteo Salvini will die Kapitänin aus Italien ausweisen. Er erwarte sich vorbildhafte Strafen für die Kapitänin, die bei der Einfahrt in den Hafen von Lampedusa das Leben der Polizisten an Bord des Patrouillenbootes gefährdet und die italienischen Gesetze verletzt habe. „Von anderen EU-Ländern - in erster Linie Deutschland und Frankreich - erwarte ich mir Respekt und Schweigen“, erklärte Salvini auf Facebook. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und der Außenminister Heiko Maas hatten zuvor das Vorgehen der italienischen Behörden kritisiert. Italien sei bereit, Rackete auszuliefern, betonte der italienische Innenminister.

Der Kurs von Salvini sei „unannehmbar“, sagte die französische Regierungssprecherin Sibet Ndiaye in einem TV-Interview. Italien sei bisher in Sachen Einwanderung seinen Pflichten nicht nachgekommen, kritisierte er. Salvini „instrumentalisiere“ die Flüchtlingspolitik und befeuere mit seiner Strategie nur die Hysterie. Frankreich und der EU werfe der Politiker der rechten Regierungspartei Lega mangelnde Solidarität vor, dabei habe Italien im Zuge der Flüchtlingskrise rund eine Milliarde Euro Unterstützung von der EU erhalten, so Ndiaye.

Salvini verteidigte sich prompt: Die französische Regierung solle mit ihren Beschimpfungen aufhören und stattdessen die Häfen des Landes öffnen. Italien habe bereits zu viele Migranten aufgenommen. „Die nächsten Migrantenschiffe? Nach Marseilles“, forderte Salvini.

Unterdessen verließ „Sea-Watch 3“ den Hafen von Lampedusa in Richtung Licata auf Sizilien. Das Schiff wurde von Motorbooten der Polizei eskortiert. Im Hafen der Stadt Licata nahe Agrigent soll es technischen Kontrollen und einer Durchsuchung durch die Staatsanwälte unterzogen werden, die im Fall „Sea-Watch 3“ ermitteln, berichteten italienische Medien.

Die Hilfsorganisation „Mediterranea“ schickt indes gegen den Willen der italienischen Regierung ein neues Schiff aufs Mittelmeer. Das Schiff „Alex“ mit italienischer Flagge startete am Dienstag in Richtung Libyen, teilte die NGO per Twitter mit. Die „Alex“ war ein Begleitungsschiff der „Mare Jonio“, die im Mai vor der libyschen Küste 30 afrikanische Flüchtlinge gerettet hatte. Die Justiz ordnete die Beschlagnahmung des Schiffes an.

„Es ist absurd, das die ‚Mare Jonio‘ beschlagnahmt bleiben muss, weil wir 30 Menschenleben gerettet haben“, so die NGO. Zwei weitere Rettungsschiffe sind zurzeit im Mittelmeer unterwegs. Dabei handelt es sich um die „Open Arms“ der spanischen NGO „Proactiva Open Arms“ und um die „Alan Kurdi“ der deutschen Hilfsorganisation Sea-Eye.

Deutschlandweit demonstrierten indes hunderte Menschen für Racketes Freilassung. Nach Angaben der Polizei protestierten sie am Dienstag in den deutschen Städten Berlin, Köln und Frankfurt am Main und verlangten die Freilassung der 31-jährigen Deutschen.

Auch in Österreich ist die Solidarität mit Carola Rackete groß. In Salzburg nutzten rund 50 bis 60 Personen den Staatsbesuch des italienischen Präsidenten Sergio Mattarella und machten sich für die Freilassung der Kapitänin stark. In Wien treffen sich am Dienstag um 18.00 Uhr Demonstranten vor der Wiener Staatsoper. Auf der Social-Media-Plattform Facebook haben bereits über 1.100 Teilnehmer zur Veranstaltung zugesagt.