Film und TV

“Das Haus Meer“: Eine Utopie in der Idylle

Ariane Ascaride, Jean-Pierre Darroussin und Gérard Meylan sind seit über 30 Jahren Robert Guédiguians Stammschauspieler. In „Das Haus am Meer“ spielen sie Geschwister.
© Filmladen

Robert Guédiguians „Das Haus am Meer“ ist ein wunderbar hoffnungsvoller Film über die Entdeckung einer längst verloren geglaubten Solidarität.

Von Peter Angerer

Innsbruck –Die westlich von Marseille gelegene Bucht Calanque de Méjean präsentiert sich als Ferienparadies. In Robert Guédiguians Film „Das Haus am Meer“ tragen die Menschen allerdings Mäntel und Anoraks. Die Saison ist vorbei. Spekulanten und Investoren werfen begehrliche Blicke auf die Idylle, als Bedrohung werden jedoch Migranten wahrgenommen, die dem Ertrinkungstod auf dem Meer entkommen sind.

Maurice (Fred Ulysse) eröffnete in der idyllischen Bucht ein Restaurant, in dem „Arbeiter für wenig Geld gut essen können“. Seit Jahren führt sein Sohn Armand (Gérard Meylan) in diesem Geist die Küche, doch die Zukunft ist ungewiss. Arbeit wird nicht mehr geschätzt, noch weniger die Arbeiter, sofern sie kein Eigentum erwerben konnten. Mieten werden exorbitant erhöht, da sich in den Sommermonaten mit Ferienwohnungen ohne Mühe das große Geld machen lässt.

Als Maurice nach einem Schlaganfall zum Pflegefall wird, ist Armand auf die Unterstützung seiner Geschwister angewiesen, die vor Jahrzehnten die damals noch solidarische Dorfgemeinschaft verlassen hatten.

Seit beinahe 40 Jahren dreht Robert Guédiguian Filme über den Kampf der Arbeiterklasse für bessere soziale Verhältnisse und die Aussicht auf ein kleines Glück, ohne zu verschweigen, dass dieser Kampf längst entschieden ist. Ideen einer gerechten Gesellschaft werden diffamiert, in Jahrzehnten erkämpfte soziale Errungenschaften werden unter dem Beifall einer Mehrheit zurückgefahren.

Von der Globalisierung und faulen Kompromissen könnte Armands Bruder Joseph (Jean-Pierre Darroussin) erzählen. Doch der Gewerkschaftsfunktionär wurde mit einer hohen Summe zum Schweigen gebracht. Seither tritt er als Zyniker auf. Beider Schwester Angèle (Ariane Ascaride) hat in Pariser Theatern Karriere gemacht. Nachdem ihre Tochter unter der Aufsicht des Großvaters im Meer ertrunken ist, hat sie das Dorf jahrelang gemieden. Einiges ist also an den langen Abenden im Familienrestaurant aufzuarbeiten.

Der verloren geglaubte politische Furor erwacht in den Geschwistern, wenn Soldaten auf der Suche nach illegalen Migranten durch den Ort patrouillieren. Das martialische Auftreten rechtfertigen sie mit der Wahrscheinlichkeit, gefährliche Terroristen zu entdecken. Denn die Armee unternehme alles, „damit Sie ruhig schlafen können!“.

Es sind jedoch Angèle, Armand und Joseph, die im Wald drei frierende Kinder finden. Diese Kinder könnten Teil einer neuen Utopie sein und persönliche Versäumnisse vergessen lassen. Plötzlich ist alles wieder wie zu jener Zeit, als es erlaubt war, von einer besseren, solidarischen Welt zu träumen und vielleicht sogar anderen Menschen zu helfen, ohne Vorteile zu erwarten.

In einem Moment der Ausgelassenheit springen die Geschwister ins Meer. Es ist Sommer, Angèle, Armand und Joseph sind 30 Jahre jünger.

Die verblüffende Rückblende ist eine Sequenz aus Robert Guédiguians Film „Ki lo sa?“ von 1985 und erklärt auch die Vertrautheit im leichten Spiel der Darsteller, die mal in kleineren, mal in den Hauptrollen in allen Filmen („Marius und Jeannette“, „Der Schnee am Kilimandscharo“) des französisch-armenischen Regisseurs zu sehen sind. Es ist die Zuneigung Guédiguians zu seinen Figuren und DarstellerInnen gleichermaßen, die neben einem hoffnungsvollen Blick in die Zukunft in einem geheimnisvollen emotionalen Prozess Kinoglück hervorbringt.