Blick von Außen

Nur die toten Fische schwimmen mit dem Strom

Im Mai sprach Greta Thunberg vor Jugendlichen - und Erwachsenen - in Wien.
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Fridays for Future ist der Kampf der Jugend für eine bessere Umwelt.

Von David Gulda

Dem 16-jährigen Optikerlehrling Matko, der im Verein Fußball spielt und sich für die Umwelt engagiert, sind aufmerksame Leser der Tiroler Tageszeitung schon einmal begegnet. Nicht persönlich, natürlich, sondern als vorgestellte Figur, die der Autor dieses Beitrags bitten ließ, man möge sich an der Europawahl beteiligen und für ein Europa der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit stimmen. Matko, der sich über die gestiegene Wahlbeteiligung freut, wählte so und konnte auch seine Eltern sowie drei seiner kickenden Kameraden dazu motivieren. Das war gar nicht so leicht, weil sie seinem Drängen das verbreitete Lamento entgegenhielten, dass ihre Stimmen ja nichts ändern würden, die Politik nie das hielte, was sie verspricht und die Älteren ihre klimaschädlichen Angewohnheiten sowieso nicht ablegen würden. „Sicher ist unser Einfluss klein“, meinte Matko, „aber wenn wir nichts tun, ist er null. Bei einem Match bleiben wir auch nicht in der Kabine, sondern spielen, selbst wenn wir absehbar unterlegen sind.“ Der etwas hinkende Vergleich überzeugte die Burschen dann doch. Sie gingen wählen und streiten seither für eine bessere Umwelt.

Archimedische Jugend

Archimedes, der geniale Mathematiker der Antike, soll gesagt haben: „Gebt mir einen Hebel, der lang genug, und einen Angelpunkt, der stark genug ist, dann kann ich die Welt mit einer Hand bewegen.“

Der Angelpunkt der Jugend ist ein moralisches Recht, das sie hat, weil sie ungefragt in eine Welt geworfen wurde, die die älteren Generationen – der Autor gehört dazu – leichtfertig in den heutigen Zustand massiver Verseuchung gebracht haben. Es ist schon ungerecht, der Jugend diese versalzene Suppe vorzusetzen, und erst recht, nicht eiligst zu versuchen, den Salzgehalt wenigstens nicht noch zu steigern. Abstrakt gesprochen lautet das Gebot der Stunde, den Lebensstil vom eingeübten Modus der Ausweitung auf den ungewohnten der Einschränkung umzustellen.

Die Tropenhitze dieser Tage – ihr mit energiehungrigen Klimageräten zu begegnen, ist übrigens wenig intelligent, da sie sie mitverursachen – die Hitze also zeigt, wie dringlich der Schwenk ist, den uns keine Technik ersparen kann. Denn sie braucht oft Strom wie ein Klimagerät. Und dieser muss erst erzeugt werden, weshalb er in Europa vorwiegend verkleidetes Gas, Öl, Uran und Kohle ist. Daher sind z. B. Elektro- und Wasserstoffautos nur Scheinlösungen. Es sei denn, der Strom, ohne den großindustriell auch kein H2 zu haben ist, stammt aus Wasser-, Wind- und Sonnenkraft. Aber sollen letzte Flussabschnitte und viele Landschaften wirklich Turbinen, Windradwäldern und Photovoltaikfeldern geopfert werden, um Treibstoff für den Individualverkehr zu gewinnen? Wäre es nicht klüger, ihn zu drosseln?

Doch der Ruf nach Mäßigung trifft stets auf zwei Einwände: Erstens, dass sich Besonnenheit mit einer auf Wachstum getrimmten Wirtschaft nicht verträgt. Die braucht nämlich unersättliche Konsumenten. Zweitens, dass die Minderzahl Zurückhaltender ohnehin wenig bewirkt, weil, gemessen am Ausmaß des Problems, jeder Einzelne nur läppisch scheinende Trippelschritte der Entlastung setzen kann. Doch berechtigt weder der eine noch der andere Einwand dazu, den Irrweg fortzusetzen. Denn das summierte Fehlverhalten ruiniert den Planeten. Davon hat die Jugend den größten Schaden, weil sie am längsten unter den Folgen zu leiden haben wird.

Zum Autor

David Gulda studiert politische sowie Wirtschafts- und Rechtsphilosophie und schreibt derzeit an seiner Abschlussarbeit.

d.gulda@a1.net

Weil sie das weiß, geht sie nun weltweit auf die Straßen. Ihre „Fridays for Future“-Bewegung schreit es der trägen Gesellschaft und der säumigen Politik ins Gesicht, dass sie endlich wirksam handeln müssen. Folgen sie dem dramatischen Appell, dann werden die Proteste im Rückblick der archimedische Hebel der Jugend gewesen sein, mit dem sie die Welt aus den Angeln des ökologischen Todes hob.

Die Demonstranten sollen nur möglichst laut und standhaft sein und sich nicht abschrecken lassen, weder von jenen, denen die relative Lappalie einiger versäumter Schulstunden missfällt, noch sonst. Auch Mahatma Gandhi, Rosa Parks, Martin Luther King und Mitstreiter verschafften sich Gehör durch gewaltlose Regelverstöße. Möglich, dass Greta Thunberg einmal in die Riege solcher Helden der Zivilcourage aufgenommen wird, weil sie Hunderttausende zum Protest gegen die Ungerechtigkeit bewegt hat, die der Jugend widerfährt. Gelobt seien jedenfalls alle Lehrer, die während des Schuljahres nachsichtig mit den Protestierenden waren und Eltern, die wahrheitsgemäße Entschuldigungen schrieben.

Kehren vor der eigenen Tür

Matko und seine Freunde wissen, dass sie ihr Recht auf eine grüne Zukunft unabhängig vom eigenen Verhalten besitzen. Um aber den Vorwurf der Doppelzüngigkeit abzuwehren, kehren sie auch vor der eigenen Tür. Lockendem Fastfood und schnellem Coffee to Go, deren Verpackung allein schon Müllberge verursacht, schwören sie ab. Sie schlürfen keine Dosengetränke mehr, da sie wissen, dass Aluminiumerzeugung extrem energieintensiv ist. Limonaden in PET-Flaschen meiden sie, weil sie von der Plastikverseuchung der Ozeane gehört haben. Kurz: Mit guten Gründen wenden sie sich von dem Zeug ab und sportlich, wie sie sind, fällt ihnen das eher leicht.

Viel schwerer wiegt der Verzicht auf das neueste Handymodell, den sie praktizieren, seit sie wissen, wie zerstörerisch der Abbau von Lithium ist, das in den Batterien steckt. Dabei hilft ihnen aber, dass ihre mageren Lehrlingsbezüge den ständigen Austausch ohnehin nicht erlauben. Wenn sie ihre Clique deshalb als uncool verhöhnt, dann kontern sie mit dem Spruch, dass nur tote Fische mit dem Strom schwimmen. Sie aber wollen lebendig sein und behaupten lässig, dass sie dazu das XY-Handy nicht brauchen. Wer nun abfällig meint, dass Einschränkung aus Geldmangel leicht sei, weil unfreiwillig, der bedenke, dass Geldmittel umgekehrt kein Freibrief für Verschwendung sind.

Die nächste Wahl als Chance

Nach der Schamlosigkeit des Vizekanzlers auf Ibiza zerbrach die Regierung eines Kanzlers, der sich mit dem Gefallenen bis zuletzt blendend verstand. Einig waren sie sich z. B. in der Missachtung von Umweltbelangen, in der Geringschätzung von Ausländern und im Kampf gegen Arme. Den Sturz bedauerte Matko daher nicht. Denn er und seine Eltern verdienen zwar wenig, doch glauben sie nicht, dass es ihnen hilft, wenn die Mindestsicherung für noch Ärmere gekürzt wird. Dann war da der türkis-blaue Generalverdacht, dass so gut wie alle Ausländer und Flüchtlinge sowieso Schmarotzer des österreichischen Sozialsystems seien. Doch Matkos Eltern waren selbst nach Tirol geflüchtet und sind sehr tüchtig. Dass sie die Regierung boshaft zu Österreichern zweiter Klasse stempelte, schmerzte ihn. Ferner kann er nicht begreifen, dass ein junger Kanzler lieber vor Industriekapitänen und Baulöwen den Diener macht als seine Politik an den überlebenswichtigen Zukunftsfragen auszurichten. Statt der Ökologie den Vorrang vor der Ökonomie zu sichern, hat er nämlich die Einführung eines Standortanwalts im UVP-Verfahren, der für das Gegenteil sorgt, befürwortet.

Anders als vor zwei Jahren dürfen Matko und Freunde bei der kommenden Nationalratswahl wählen. Das sehen sie als Chance und wünschen sich eine Parlamentsmehrheit für eine Politik der Achtung statt der Verachtung. Der Achtung vor den Menschen gleich welcher Herkunft, vor der Würde Bedürftiger und vor Mutter Erde. Die Glaubwürdigkeit neuer politischer Versprechen messen sie an vergangenen Taten. Die Älteren rufen sie auf, sich die Anliegen der Jugend zu eigen zu machen und danach zu handeln. Im Wahllokal und im Leben.