Kontroverses Völkerball: Gewaltförderndes Kriegsspiel oder großer Spaß?
Das beliebte Spiel Völkerball gilt für die einen als martialisches Kriegsspiel, das Mobbing und Gewalt fördert, für die anderen als wertvolles Koordinationstraining mit Teamgeist und großem Spaßfaktor. In den Tiroler Schulen erfreut sich Völkerball aber großer Beliebtheit.
Von Beate Troger
Ich war nie gut im Völkerball. Schlecht im Fangen, mittelmäßig beim scharfen Schießen und Zielen und zu langsam, um dem Ball des gegnerischen Teams auszuweichen. Für den Klassiker des Schulsports eine ganz schlechte Kombination. Trotzdem mochte ich das Spiel. Meistens gab es lustige Zwischenfälle, nie Streit.
Jeder kennt Völkerball. Die Regeln sind einfach. In drei Worten: Schießen, Treffen, Aus. Es geht darum, den Ball zu erwischen, selbst nicht getroffen zu werden und als Freigeist oder Feldspieler die Gegner abzuschießen. Während kanadische Forscher mit der Aussage ihrer Studie, dass Völkerball „legalisiertes Mobbing“ sei und Gewalt fördere, für Aufsehen sorgt, matchen sich in Innsbruck 28 Schulklassen mit mehr als 500 Schülerinnen und Schülern im „Teamball“, dem alljährlichen Völkerballturnier. Im großen Schulgarten der Volksschule Saggen wirbeln dann Bälle und Kinderlachen durch die Luft.
Wurzeln im Kriegsspiel
Es ist nur eines von vielen Turnieren an den Tiroler Schulen. Denn aus dem Turnunterricht ist Völkerball nicht wegzudenken. Die Forderung der Studienautoren, Völkerball bzw. die angloamerikanische Variante Dodgeball mit mehreren Bällen von den Lehrplänen zu verbannen, sorgt bei Werner Oebelsberger, Fachinspektor für Sportunterricht in Tirol, für Verwunderung. „Völkerball ist eines der Spiele, das Schülerinnen und Schüler aller Schulformen und vom Volksschulalter bis zur Matura mit viel Begeisterung spielen“, weiß er aus jahrelanger Erfahrung.
Auch für Cathrin Weber, Dodgeball-Nationalspielerin und -Trainerin in Innsbruck, ist die Aussage der Studie aus Übersee „lächerlich“. Sowohl in professionellen Matches als auch im Training für Laienspieler stehe Fairness als oberstes Gebot über allem. „Da gleich fünf Bälle durch die Luft fliegen, kann der Schiedsrichter gar nicht sehen, ob jemand getroffen wurde“, erläutert die Expertin, „jeder muss dann so fair sein und selbst vom Spielfeld gehen.“ In der Praxis werde auch nie auf die schwächsten Spieler gezielt. Im Gegenteil: „Wer gewinnen möchte, versucht, das gegnerische Team zu schwächen und greift die besten Spieler an.“
Lehrer muss auch ausloten
Weber bildet im kommenden Schuljahr an der Pädagogischen Hochschule Tirol eine Fortbildung für Lehrer im Völkerball und Dodgeball an. Nicht wegen der aktuellen Debatte, sondern weil das Spiel so beliebt ist und Sportlehrer neue Impulse bekommen sollen. „Wenn in einer Klasse aber immer dieselben Kinder abgeschossen werden, ist es die Aufgabe des Lehrers, mit Regeln dagegenzusteuern“, stellt Weber, die selbst Lehramt studiert hat, klar. Das könne aber in jedem Spiel vorkommen.
Obwohl die Wurzeln von Völkerball im Kriegsspiel liegen, wie auch schon der Name sagt, sehen weder sie noch der Sportinspektor Tendenzen zur Martialisierung im Turnunterricht. Im Sport gehe es eben um Gewinnen und Verlieren, das sei etwas ganz Natürliches und Gesundes, sagt Oebelsberger. So gebe es wie in jedem anderen Unterrichtsfach auch Bessere und weniger Talentierte.
Außerdem räumt er ein, dass kaum ein anderes Spiel im Schulsport die so genannte Großmotorik, bei der es um großräumige Bewegungen im Raum geht, derart gut fördere wie das Völkerballspiel. „Die Kinder lernen und üben Fangen und Werfen und schulen die Koordination und Geschicklichkeit“, weiß Oebelsberger. Mit diesen Fähigkeiten könnten sie auch später Gefahrensituationen besser einschätzen.
Auch Josef Wiesflecker, Turnprofessor am Sport-BORG in Innsbruck, ortet im Schul-Völkerball weder Mobbingtendenzen noch Gewaltpotenzial. Er spielt in der Turnhalle mit seinen Schülern sowohl das klassische Völkerball als auch die Dodgeball-Variante.
„Leider kommt aus dem angloamerikanischen Raum der übervorsichtige Trend, dass man alles, was potenziell gefährlich sein könnte, verbietet und einschränkt“, erläutert er. Dass der Kampfgeist des Spiels nicht in das Sozialgefüge der Klassengemeinschaft mitgenommen werde, sei die Aufgabe des Pädagogen. Er selbst erinnert sich an keinen ernsthaft problematischen Zwischenfall in seiner Berufslaufbahn.
Und wie schaut es mit dem Wählen aus? Ist es nicht demütigend, wie ausgeliefert vor den Mitschülern zu stehen? Wenn ständig die Namen von Kollegen fallen, nur der eigene wird nicht aufgerufen? „Das Wählen kann schon problematisch sein, ist aber absolut nicht mehr zeitgemäß“, sagt Sportpädagoge Wiesflecker. Heute werde meist durchgezählt oder der Lehrer stellt annähernd gleich starke Teams zusammen. Zugegeben, ich kenne die Erfahrung, als Letzte gewählt zu werden. Gemobbt gefühlt habe ich mich aber nie.