2018 waren rund 900.000 Menschen zumindest einen Tag arbeitslos
Für das Jahr 2020 rechnet AMS-Chef Johannes Kopf mit einer stabilen Arbeitslosenquote. Der starke Zuzug von Arbeitskräften zwischen 2010 und 2018 sei gut für den Wirtschaftsstandort gewesen.
Wien – In seiner neuesten Sonderauswertung hat sich das Arbeitsmarktservice (AMS) genau angeschaut, wie viele Menschen einmal im Jahr von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Im Durchschnitt waren es im Vorjahr 312.107 Menschen. Tatsächlich betroffen waren aber weit mehr: 918.119 Menschen waren zumindest einen Tag arbeitslos gemeldet. Verglichen zu 2017 war das ein Minus von 3,7 Prozent oder 35.270 Personen.
Der Durchschnittswert (Bestand) von 312.107 ist relativ gesehen mit 8,2 Prozent noch deutlicher zurückgegangen. „Das erklärt sich einerseits aus dem überproportionalen Rückgang an Langzeitarbeitslosen“, erläuterte AMS-Chef Johannes Kopf am Donnerstag im Gespräch mit der APA. Deren Zahl sank um 13,5 Prozent oder 7.794 Personen im Vergleich zu 2017. „Vor allem zeigt sich aber auch die massiv gestiegene Dynamik am Arbeitsmarkt. Arbeitslosigkeit gehört inzwischen zu einem normalen Arbeitsleben dazu.“ Ein großes Problem sei die lange Arbeitslosigkeit: „Sie führt zu Armutsgefährdung, dem Verlust von Selbstvertrauen und Qualifikationen und man wird von Firmen schwieriger genommen.“ Daher sei es „besser wenn vier Leute drei Monate lang arbeitslos sind als eine Person über zwölf Monate“, so Kopf.
Friktionelle Arbeitslosigkeit
Die Beschäftigungsverhältnisse werden prinzipiell immer kürzer. „Es sind im Durchschnitt schon weniger als zwei Jahre, es gibt immer mehr Jobwechsel“, so Kopf. Der größte Teil der Arbeitslosigkeit stammt aus der „Jobwechsel-Arbeitslosigkeit“, das ist eine Art der sogenannten friktionellen Arbeitslosigkeit und keine strukturelle Arbeitslosigkeit. „Wir empfehlen, nicht zu kündigen bevor man einen neuen Job hat, denn Arbeit findet sich leichter aus einer Arbeit heraus. Aber Menschen verlieren eben Jobs, wollen wechseln und es gibt auch die saisonale Arbeitslosigkeit.“ Prinzipiell habe das AMS jedenfalls nicht weniger zu tun, wenn die statistische Arbeitslosigkeit zurückgeht: „Wenn es fünf Prozent weniger Arbeitslose gibt, haben wir nicht um fünf Prozent weniger zu tun.“
Beide Statistiken - also der Durchschnittsbestand zum Monatsende und die Betroffenheitszählung – haben gemein, dass es voriges Jahr den stärksten Rückgang seit dem Jahr 2000 gab. In der Betroffenen-Statistik wird eine Person, die etwa drei Mal im Jahr nur einen Tag arbeitslos ist, übrigens auch nur einmal gezählt.
Arbeitslosigkeit dürfte 2020 stagnieren
Kopf sieht in der Juli-Arbeitslosigkeit mit einem Minus von rund 15.000 Arbeitslosen im Vergleich zum Juli 2018 einen „kräftigen Rückgang“. Auch fürs Gesamtjahr werde es im Jahresvergleich eine deutliche Reduktion geben, aber noch heuer könnte es erste Monate mit wieder steigenden Arbeitslosenzahlen geben. Dasselbe gilt für das kommende Jahr, so Kopf.
Da die offenen Stellen in der Industrie mit aktuell 81557 aber mit minus 5,2 Prozent einen Einbruch erlitten haben und auch die offenen Stellen in der Arbeitskräfteüberlassung leicht rückläufig sind, rechnet der Chef des Arbeitsmarktservice (AMS) damit, „dass die Arbeitslosigkeit in der Industrie relativ bald steigen wird. Bisher war die Industrie der Treiber hinter der sinkenden Arbeitslosigkeit.
Von Deutschland abgekoppelt
Das AMS rechnet für heuer und fürs kommende Jahr mit einem BIP-Wachstum von 1,5 Prozent. Für das Jahr 2020 rechnet Kopf mit einer stabilen Arbeitslosenquote, aber leicht steigenden Arbeitslosenzahlen wie es das IHS (plus 3000) oder das Wifo (plus 6000) prognostizieren. „Wir rechnen mit einer Stabilisierung. Sicher wird es das eine oder andere Monat mit mehr Arbeitslosen geben - aber nicht dramatisch“, sagt Kopf. Dass das Wachstum einbrechen könnte, glaubt Kopf nicht.
Kopf hob im Zusammenhang mit der österreichischen und deutschen Wirtschaft hervor, dass sich Österreich trotz der engen Verwebung relativ abgekoppelt habe. So wie Österreich zwischen 2012 und 2016 nicht allzu stark vom großen Wachstum im großen Nachbarland profitiert habe, so wachse es jetzt in stärkerem Ausmaß. Es sei eine Art „Puffer“ zwischen Berlin und Wien entstanden. „Österreich ist auch sehr stark mit den osteuropäischen Nachbarländern verwoben und hat eine sehr stabile Inlandsnachfrage“, erklärt Kopf. Zudem stehe Österreich demografisch viel besser da als Deutschland.
500.000 zusätzliche Arbeitskräfte
Wie hat sich der freie europäische Arbeitsmarkt überhaupt auf den heimischen Arbeitsmarkt und die Austro-Wirtschaft ausgewirkt? „Zwischen 2010 und 2018 sind inklusive rund 100.000 Österreichern fast 500.000 zusätzliche Arbeitskräfte auf unseren Arbeitsmarkt gekommen“, erläutert Kopf. Zum Vergleich: In ganz Österreich gibt es rund 3,89 Millionen Beschäftigte. Die Steigerung habe so gut wie gar nichts mit Flüchtlingen „sondern im großen Stil mit Arbeitskräften aus dem EU-Ausland zu tun“. Die hohe Zahl habe sich in der Phase des geringen Wachstums von 2012 bis 2016 dahingehend ausgewirkt, dass Österreich im EU-Vergleich nicht mehr unter den Staaten mit der geringsten Arbeitslosenquote ist.
Es gibt laut Kopf dabei aber einige sehr positive „Aber“: „Der Zuzug ist für den Wirtschaftsstandort extrem gut, weil er das demografische Problem entschärft hat. Vor allem sind viele junge, gut ausgebildete gekommen.“ So sei das vorhandene Problem des Fachkräftemangels abgeschwächt worden, betont Kopf. „Unsere demografische Situation ist dadurch viel viel besser als in vielen anderen EU-Ländern und vor allem Deutschland. Dadurch kann man auch mit neuen Niederlassungen ausländischer Firmen hierzulande rechnen. Es ist spannend, was Europa bewegt“, sagt der AMS-Chef. (TT.com, APA)