Klimawandel

Weltklimarat: Warum Raubbau zu Hunger führt

Industrielle Landwirtschaft – wie Weizenernte in Frankreich – heizt den Klimawandel an.
© AFP

Weniger Fleisch essen, bewusster einkaufen und nur wegwerfen, was wirklich wegmuss: Wer künftig nicht unter noch mehr Hitze stöhnen will, kann mit klimafreundlichen Verhaltensänderungen im Alltag viel bewirken.

Genf – Der Weltklimarat IPCC hat mit einem neuen Bericht seinen Blick umfassend wie nie auf die Land- und Forstwirtschaft gerichtet und gestern in Genf eindringlich auf notwendige Veränderungen im Umgang mit der Landnutzung hingewiesen.

Die Autoren des Berichts, 107 Forscher aus 52 Ländern, gehen u. a. davon aus, dass die Zahl, Dauer und Intensität von Hitzewellen sowie Dürren nicht zuletzt rund ums Mittelmeer zunehmen werden. In vielen Regionen werden zudem häufiger extreme Regenfälle vorkommen. Zugleich sieht der IPCC Gefahren für die Versorgung mit Lebensmitteln. „Die Stabilität des Nahrungsmittel-Angebots wird voraussichtlich sinken, da das Ausmaß und die Häufigkeit von Extremwetter-Ereignissen, die die Lebensmittelproduktion beeinträchtigen, steigen werden.“

Derzeit seien rund 820 Millionen Menschen weltweit unterernährt. Ihre Zahl steigt nach UNO-Daten seit einigen Jahren wieder. Laut IPCC leben rund 500 Millionen Menschen in Gebieten, die von Versteppung bedroht sind. Diese Regionen seien umso anfälliger für Wetterextreme wie Dürren, Hitzewellen und Staubstürme.

Es geht laut IPCC nun auch darum, die gesamte Kette der Erzeugung und des Konsums von Nahrungsmitteln zu überdenken. Die Autoren werben für eine ausgewogene Ernährung, die verstärkt auf Gemüse und Getreide setzt. Die Zucht von Schweinen und Rindern benötigt mehr Platz, zudem entstehen mehr Treibhausgase als beim Anbau der gleichen Menge von Proteinen in Bohnen oder Linsen.

„Mit anderer Ernährung könnten bis 2050 Millionen von Quadratkilometern Landfläche frei werden“, schreibt IPCC. Die Belastung der Atmosphäre mit Kohlendioxid aus der Landwirtschaft würde das deutlich mindern. „Und gesünder wären weniger tierische Produkte obendrein“, sagt Mitautor Alexander Popp vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und ergänzt: „Wir haben einen Überkonsum an Kalorien.“

Tomatenplantagen in Spanien.
© AFP

Eine wichtige Stellschraube wäre auch weniger Abfall auf dem Feld, beim Transport – und nicht zuletzt in der Küche. Aktuell gehen laut IPCC weltweit 25 bis 30 Prozent der produzierten Lebensmittel verloren.

Die Land- und Forstwirtschaft steuert laut IPCC rund 23 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase bei. „Hier liegt sehr viel Potenzial“, sagte die deutsche Mitautorin des Berichts, Almut Arneth aus Karlsruhe. Das Pariser Klimaabkommen legte 2015 das Ziel fest, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, wenn möglich sogar auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Dazu müssten die Staaten den Netto-Ausstoß ihrer Treibhausgase stark reduzieren. Einige wollen große Flächen für neue Wälder nutzen, die die Treibhausgase aus der Atmosphäre ziehen sollen. In Verbindung mit dem Ziel der Lebensmittelsicherheit für die gesamte Bevölkerung drohen so Landkonflikte – zusätzlich zu den Entwicklungen, die der Klimawandel bereits jetzt ausgelöst hat, warnen die Autoren.

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Die Dürren machen dann wieder der Landwirtschaft, etwa den Weinbauern, zu schaffen.
© AFP

Der weltweite Temperaturanstieg liegt im Vergleich zur vorindustriellen Zeit laut Bericht insgesamt bei 0,87 Grad, über den Landflächen allerdings bereits bei 1,53 Grad, weil sich diese schneller erhitzen als die Meeresflächen. Verglichen wurden die Zeiträume 1850 bis 1900 und 2006 bis 2015.

Georg Kaser von der Uni Innsbruck ist einer der österreichischen Leitautoren beim Weltklimarat.
© Thomas Boehm / TT

Der IPCC-Sonderbericht hat heftige Reaktionen bei österreichischen und internationalen Umweltschutzorganisationen hervorgerufen. WWF, Greenpeace, Global 2000 und Tierschützer forderten unter anderem einen Stopp des Raubbaus an der Natur, eine CO2-neutrale Agrarwirtschaft bis hin zu einer Reduktion des Fleischkonsums.

„Der IPCC-Bericht zeigt glasklar: Die Klimakrise ist auch eine Krise der Nahrungsmittelproduktion. Die Art und Weise, wie wir Nahrung produzieren, zerstört unsere Umwelt und lässt das Klima kollabieren. Wir essen die Erde buchstäblich krank – vor allem der enorme Fleischkonsum und der damit verbundene Futtermittelbedarf in Westeuropa und Nordamerika führt zur massiven Abholzung von Wäldern“, erklärte Jens Karg, Landwirtschaftsexperte bei Greenpeace Österreich.

Wenig erfreut über den Bericht zeigte sich Tirols Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Hechenberger. Er wies in einer Aussendung die „pauschale Kritik“ zurück. Damit werde die Landwirtschaft zum Sündenbock für das Versäumnis, eine globale Strategie zu entwickeln, gemacht. (TT)

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