Salzburger Festspiele

Orpheus: Strapsparade in der Unterwelt

Sexbessene Gestalten, alberne Götter, seltsame Menschen: Barrie Kosky inszenierte „Orpheus in der Unterwelt“ schrill und chaotisch.
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Barrie Kosky und Enrique Mazzola ließen es mit Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ bei den Salzburger Festspielen gehörig knallen.

Von Jörn Florian Fuchs

Salzburg –Ziemlich ernst ging es bisher an der Salzach zu. Heuer sind ja Mythen das zentrale Thema, Peter Sellars zeigte Mozarts „Idomeneo“ als eindringlichen Appell für Menschlichkeit und gegen (Plastik-)Müll, Simon Stone katapultierte Luigi Cherubinis archetypische Kindsmörderin Médée in die Salzburger Gegenwart, Achim Freyer bot mit George Enescus „Oedip­e“ intensives, spektakuläres Welttheater. Nun also die deutlich leichtere Muse: Jacque­s Offenbach würde heuer 200, seine Operette „Orphée aux enfers“ wurde 1858 in Paris uraufgeführt und hat bis heute nichts an musikalischer Spritzigkeit und inhaltlichem Biss und Witz verloren.

Im Haus für Mozart zeigen die Salzburger Festspiele eine arg derbe Version, in Szene gesetzt vom allerorten viel gebuchten und geschätzten Australier Barrie Kosky. Der packt die überdrehte Geschichte um das unglückliche Paar Orpheus und Eurydike, sexbesessene Gestalten diesseits und jenseits des Hades, alberne Götter, seltsame Menschen und die immer wieder mahnend ins Geschehen hupfende „Öffentliche Meinung“ in überschrille Bilder. Ein bedeutender österreichischer Schmuckhersteller lieferte zahllose Glitzerartikel (vulgo Kristalle), die sich auf und an Gewändern ebenso finden wie auf diversen (männlichen) Geschlechtsteilen, die Mann und Frau sich äußerst gerne umschnallen und damit spielen. Zotig, ordinär, chaotisch geht es zu, im ersten Teil des Abends macht das alles Laune und Spaß, auch weil der fulminante Akteur Max Hopp (in der Rolle des John Styx) herrlich dämliche Texte rezitiert beziehungsweise performt.

Hopp ist dauerpräsent, da er tatsächlich alles spricht, die Sänger bewegen nur die Lippen und grimassieren. Anne Sofie von Otter versucht als „Öffentliche Meinung“ alles, um dem ewigen Liebes-Ehekrach-Libido-Reigen ein Ende zu bereiten, muss aber bald resignieren. Joel Prieto ist ein hell timbrierter Orphée, der noch dazu mit seinem Geigenspiel allen wunderbar witzig auf den Zeiger geht, Kathryn Lewek stürzt sich mit Verve in die Rolle der hysterischen Eurydice, exzellent auch Martin Winkler als Jupiter oder Nadine Weissmann als Cupidon.

Enrique Mazzola dirigiert die Wiener Philharmoniker wie eine – sehr präzise – übersteuerte Kurkapelle. Also, alles Gold und Glitzer in Salzburg? Leider nicht so ganz. Im zweiten Teil nämlich fehlt es an szenischen Ideen, der von Otto Pichler brillant choreographierte Mythen-Zirkus tritt mehr und mehr auf der schnellen, schrillen Stelle. Außerdem fällt einem irgendwann dann doch auf, dass die Musik so gar nichts Französisches (mehr) hat, dass die politische, gesellschaftskritische Ebene einer reinen Oberflächen­show weicht und dass die zunehmend ausufernden deutschen Texte oft ins Banale kippen. Dem Premierenpublikum war es wurscht, es goutierte alles mit Jubeln, Johlen, Japsen. Positiv formuliert: Die Sache ist eine Hetz. Kritischer gesagt: Willkommen bei den Salzburger Fetzspielen!

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