Kino

“Streik“: Der Profit siegt über die Lebensleistung

Vincent Lindon (Mitte) gewann 2015 in Cannes die Darsteller-Palme. „Streik“ ist seine vierte Arbeit mit Stéphane Brizé.
© Filmladen

Stéphane Brizé rekonstruiert in „Streik“ den Kampf verzweifelter Arbeiter um ihre Stellen und ihre Würde.

Innsbruck –Wenn in einer TV-Nachrichtensendung gerade einmal eine Minute für einen Bericht über demonstrierende Arbeiter zur Verfügung steht, liefert eine zitternde Handkamera die emotionalen Zusatzinformationen: Die Lage ist brisant und unüberschaubar und der Kameramann hat sich wie sonst nur in Kriegsgebieten in Gefahr gebracht. Dieses Stilmittel macht sich Stéphane Brizé in seinem Film „Streik“ zu eigen – auch um die Methoden der Manipulation deutlich zu machen.

Der Konflikt lässt sich relativ leicht erklären. Vor zwei Jahren vereinbarten die französische Regierung, ein deutscher Autokonzern und die Gewerkschaften, die Zulieferfirma „Perrin-Industrie“ zumindest für fünf Jahre zu erhalten. Dafür kassierte der Konzern eine stattliche Subvention, die 1100 Arbeiter verzichteten auf einen erheblichen Teil ihres Lohnes, um den Fortbestand der Firma zu sichern. Trotz eines beachtlichen Jahresgewinns beschließt die Konzernspitze, die Produktion von Frankreich nach Rumänien zu verlagern. Die Daumen der Aktionäre und die Börsenkurse schießen nach oben, doch die Bösen sind in der Berichterstattung die Arbeiter.

Zwischen nervösen Reißschwenks wird Laurent Amédéo (Vincent Lindon) in seiner roten Weste der (ehemals kommunistischen) Gewerkschaft CGT sichtbar. Als Betriebsrat macht er auf den Subventionsbetrug aufmerksam, mit dem Lohnverzicht der Arbeitnehmer konnte sich der Konzern zusätzlich einige Millionen an Sozialabgaben ersparen.

Laurent schaut auf sein bescheidenes Häuschen, das er bald verlieren wird, da er seiner Exfrau mit einem Kredit den Hälfteanteil abgekauft hat. Und in dieser Region wird es nie wieder eine Arbeitsstelle geben. „Dann ziehen sie eben in eine andere Region!“, sagt ihm der Direktor der Niederlassung. Der verdient immerhin neun Millionen Euro im Jahr und hat natürlich eine andere Sicht auf Lebensleistung und damit verbundene Privilegien. Der Staatspräsident, der sonst auch einen flapsigen Umgang mit Arbeitslosen pflegt, ernennt immerhin einen Bevollmächtigten für soziale Lösungen, doch der „freie Markt“ folgt den Regeln des Profits. Die Politiker können sich entspannt zurücklehnen.

2015 triumphierte Stéphane Brizé mit „Der Wert des Menschen“ beim Filmfestival in Cannes. Vincent Lindon spielte in dem Film einen Arbeitslosen, der alle Etappen der Demütigungen durchlaufen musste, bis er endlich auf der untersten Stufe als Kaufhausdetektiv angekommen war, wo er seinesgleichen überwachen musste, die an der Kasse nach der Meinung des Managements den größten Schaden anrichten konnten.

Brizés „Streik“ heißt im Original „En guerre“, ein mit Todesopfern verbundener Titel, der deutsche Bearbeiter zurückschrecken lässt, während Franzosen bei ähnlichen Arbeitskämpfen sich an die Verzweifelten erinnern, die sich von den Dächern der Fabriken gestürzt oder sich in der Erwartung eines qualvollen Todes vor einer Konzernzentrale angezündet haben. Man kann Brizés Film manche Vereinfachung vorwerfen, doch sein „Streik“, ein Jahr vor der „Gelbwesten-Bewegung“ gedreht, zeigt gesellschaftliche Bruchstellen auf, die sich nicht mehr verniedlichen lassen. (p. a.)