Schallenberg erwartet „harte Diskussion“ bei EU-Ministerrat
Die EU-Minister wenden sich beim Allgemeinen Rat in Luxemburg am Dienstag zwei schwierigen Themen zu: Der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien sowie dem Brexit. Außenminister Alexander Schallenberg erwartet sich hinsichtlich der Einleitung des EU-Beitrittsprozesses eine „harte Diskussion“. Es gelte, einige Zweifler zu überzeugen, sagte der Minister vor Ratsbeginn.
„Europa sollte sich heute einen Ruck geben“, so Schallenberg. Aus österreichischer Sicht haben die beiden Westbalkanstaaten alle Bedingungen für die Aufnahme von Beitrittsgesprächen erfüllt und sind „Teil Europas“. Dies hätten sie während der „Migrationskrise und in allen anderen Fragen“ bereits bewiesen.
Für den Start braucht es jedoch Einstimmigkeit. Frankreich stellt sich gegen beide Länder und kritisiert den EU-Beitrittsprozess auch als solchen, die Niederlande haben Einwände gegenüber Albanien. Das Land müsse weitere Fortschritte vorweisen, erklärte der niederländische Außenminister Stef Blok am Dienstag in Luxemburg.
Um zu einer Lösung der Brexit-Frage zu kommen, bleiben den EU-Ländern noch 16 Tage. Schallenberg ist „guter Dinge“, dass dies gelingen wird, da das gemeinsame Interesse bestehe, einen „harten Brexit“ zu vermeiden, also einen ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU.
„Wir arbeiten mit Hochdruck daran“, so der Europaminister. Es sei noch zu früh zu sagen, ob es dafür nach dem Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs diese Woche einen zweiten Gipfel brauchen werde. Die Details eines Scheidungsvertrages sollen auf dem Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel vereinbart werden, bevor am Samstag das britische Parlament in einer Sondersitzung darüber abstimmt.
Andernfalls dürfte erneut über eine Fristverlängerung geredet werden. EU-Chefverhandler Michel Barnier sagte am Dienstag in Luxemburg, es sei „höchste Zeit, gute Absichten in einen Rechtstext zu gießen“. Allerdings werde ein Kompromiss mit der Zeit immer schwieriger.
Ein Deal mit Großbritannien soll spätestens beim EU-Gipfel Ende dieser Woche stehen. Andernfalls dürfte erneut über eine Fristverlängerung geredet werden. Verhandelt wird über eine Änderung des 2018 vereinbarten Austrittsvertrags. Dieser regelt die wichtigsten Fragen der Trennung und sieht nach dem Brexit eine Übergangsfrist bis Ende 2020 vor, in der sich praktisch nichts ändern würde. Chaos direkt nach dem Austritt soll mit dem Vertrag vermieden werden. Nicht nur das britische Unterhaus, sondern auch das EU-Parlament müsste das Abkommen noch vor Ende Oktober billigen.
Der derzeitige EU-Ratsvorsitzende Antti Rinne bezweifelt, dass sich die EU und Großbritannien vor dem anstehenden Gipfel auf eine Brexit-Lösung einigen werden. Er sei der Ansicht, dass in praktischer und rechtlicher Hinsicht keine Zeit mehr vorhanden sei, um eine Lösung vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag zu erzielen, sagte Rinne am Montagabend auf einer Pressekonferenz in Helsinki.
„Ich denke, wir brauchen mehr Zeit“, erklärte der finnische Regierungschef. So wie es derzeit aussehe, müsse nach dem Gipfel weiter verhandelt werden, sagte Rinne. Es müsse eine Lösung gefunden werden, die sicherstelle, dass die Einheit der verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten keinen Schaden nehme.
Berlin fordert indes weitere Zugeständnisse von Großbritannien. Die EU stelle vor einer Einigung nur zwei einfache Bedingungen, nämlich den Erhalt des Friedens in Nordirland und den Schutz des europäischen Binnenmarkts, sagte der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth am Dienstag in Luxemburg. „Jetzt liegt es wieder mal an unseren britischen Partnern, das zu tun, was nötig ist.“
Ob ein Deal in Reichweite sei, könne er nicht sagen, fügte Roth hinzu. Doch tue die EU weiter alles für eine Einigung. „Ein harter Brexit wäre ein Desaster.“ Es blieben nun nur wenige Tage Zeit. Diese müssten genutzt werden.
Im Endspurt der Brexit-Verhandlungen rief der Vorsitzende der EVP-Fraktion im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU), Großbritannien zu einer verantwortungsbewussten Politik gegenüber der EU auf. Die Grundüberzeugungen der EU seien „nicht verhandelbar“, schrieb Weber in einem Beitrag in der „Welt“. Ausnahmeregelungen zwischen der EU und Großbritannien dürfe es nicht geben.
„Einem Austrittsvertrag, der die Rechts- und Wertegemeinschaft der EU mit Füßen tritt, wird das Europäische Parlament nie zustimmen“, so Weber. Die EU müsse in den Brexit-Gesprächen ihre vier Grundfreiheiten kompromisslos verteidigen, schrieb er weiter. „Die EU kann weder die Aufsplitterung des Binnenmarktes geografisch oder nach Branchen akzeptieren, noch seine Bürger in eine erste und eine zweite Klasse einteilen.“ Ein „Rosinenpicken“ dürfe es auch für Großbritannien nicht geben.
Laut EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn steht die Glaubwürdigkeit der EU auf dem Spiel, wenn es um die Entscheidung über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien geht. Er sei daher zuversichtlich, dass „die Vernunft Einkehr hält“, sagte Hahn im Interview mit APA in Luxemburg.
„Wenn es nicht am Dienstag oder spätestens beim Europäischen Rat am Donnerstag ein klares Signal gibt, nach zwei Verschiebungen, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir am Balkan keinen Einfluss mehr haben“, machte Hahn deutlich. Dies könne nicht im europäischen Interesse sein, so der scheidende EU-Erweiterungskommissar.