US-Vizepräsident Pence auf Nordsyrien-Vermittlermission

US-Vizepräsident Mike Pence und US-Außenminister Mike Pompeo sind am Donnerstag in der türkischen Hauptstadt Ankara eingetroffen, um sich für eine Waffenruhe in Nordsyrien einzusetzen. Sie wollen in Gesprächen mit Präsident Recep Tayyip Erdogan einen Stopp der türkischen Militäroffensive gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) erreichen.

Es werden schwierige Gespräche erwartet, da Erdogan im Vorfeld bereits einen Abbruch des Armee-Einsatzes abgelehnt hat. Pence landete am frühen Nachmittag in Ankara. Kurz zuvor war bereits Pompeo in einem separaten Flugzeug eingetroffen. Für 14.30 Uhr (13.30 Uhr MESZ) war ein Treffen mit Erdogan geplant. Der US-Delegation gehören auch der Nationale Sicherheitsberater Robert O‘Brien und der US-Sonderbeauftragte für die Anti-IS-Koalition, James Jeffrey, an.

Der türkische Staatschef hatte am Mittwoch zunächst gesagt, er werde die US-Regierungsvertreter nicht treffen, diese Aussage kurz darauf aber revidiert. Es war unklar, ob es anschließend eine Pressekonferenz geben würde.

„Unsere Mission ist es zu sehen, ob wir eine Waffenruhe erreichen können, ob wir verhandeln können“, sagte Pompeo vor dem Abflug. Allerdings hat Erdogan am Mittwoch bereits einen Stopp der Offensive ausgeschlossen, bevor die YPG ihre Kämpfer nicht aus der geplanten „Sicherheitszone“ an der türkischen Grenze abgezogen hat. Auch schloss er aus, sich mit der „Terrororganisation“ an einen Tisch zu setzen.

Die Türkei betrachtet die YPG als Bedrohung, weil sie mit den kurdischen PKK-Rebellen in der Türkei eng verbunden ist. Für die USA waren sie jedoch jahrelang wichtige Verbündete im Kampf gegen die Jihadisten der Miliz „Islamischer Staat“ (IS). Nach einem Telefonat mit Erdogan verkündete US-Präsident Donald Trump Anfang Oktober aber den Abzug der US-Truppen von der Grenze und machte damit das Feld für die lang angedrohte türkische Offensive frei.

Russland beobachtet die türkische Militäroffensive im Norden Syriens mit Sorge. Die humanitären Folgen dieses Einsatzes seien beunruhigend, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Donnerstag in Moskau der Agentur Interfax zufolge. Die Lage sei angespannt.

Darüber wollten der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Kollege Recep Tayyip Erdogan am kommenden Dienstag in der Schwarzmeer-Stadt Sotschi reden, so Peskow. Die beiden Präsidenten hatten erst diese Woche miteinander telefoniert.

Das Außenministerium in Moskau sprach von einer „ernsthaften Eskalationen der Spannungen“ in den Gebieten, die nicht von der syrischen Regierung kontrolliert würden. Bei den Feindseligkeiten würden auf beiden Seiten Menschen getötet, sagte Sprecherin Maria Sacharowa.

Ein weiteres Thema der Gespräche zwischen Putin und Erdogan soll demnach auch die Einrichtung einer sogenannten Sicherheitszone entlang der Grenze zwischen Syrien und der Türkei sein. Sacharowa sagte, Stabilität und Sicherheit könne es aber nur geben, wenn die syrische Regierung die Kontrolle übernehme - auch an der Grenze zur Türkei. Moskau unterstützt das syrische Militär.

Die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien warf unterdessen der Türkei vor, bei ihrer Militäroffensive verbotene Waffen wie Napalm und Phosphor einzusetzen. „Im offensichtlichen Verstoß gegen das Recht und die internationalen Verträge wird die türkische Aggression gegen (Ras al-Ain) mit allen Arten von Waffen geführt“, erklärte die Verwaltung der kurdischen Autonomieregion am Donnerstag.

So würden verbotene Waffen wie Napalm und Phosphor eingesetzt, hieß es. Die Kämpfe konzentrieren sich seit einigen Tagen auf die syrische Grenzstadt Ras al-Ain.

Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete am Donnerstag, dass die türkische Armee und verbündete syrische Milizen Teile der Stadt von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) erobert hätten. Die Vorwürfe über den Einsatz von Napalm und Phosphor konnte die oppositionsnahe Organisation nicht bestätigen. Sie teilte aber mit, dass Verletzte mit Verbrennungen in ein nahegelegenes Krankenhaus gekommen seien.

Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar wies die Vorwürfe umgehend zurück. „Es ist allgemein bekannt, dass die türkischen Streitkräfte keine chemischen Waffen in ihrem Inventar haben“, sagte Akar nach einem Treffen mit dem US-Sicherheitsberater Robert O‘Brien. Die YPG setze selbst Chemiewaffen ein, um anschließend die Türkei dafür die Schuld zu geben, sagte er.

Die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien hat forderte einen Korridor aus der von der Türkei belagerten Grenzstadt Ras al-Ain, um Tote und Verletzte herauszubringen. Die Staatengemeinschaft müsse einschreiten, um „einen gesicherten humanitären Korridor zu öffnen, um die Märtyrer und verletzten Zivilisten aus der eingekreisten Stadt Ras al-Ain zu bringen“.

Es seien „zahlreiche Zivilisten“ eingeschlossen und Krankenwagen würden „systematisch bombardiert“, teilte die Verwaltung der kurdischen Autonomieregion mit. Ein Krankenhaus sei durch den türkischen Beschuss beschädigt worden, hieß es. Auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigte, dass die Mitarbeiter der Klinik eingeschlossen seien.

Die Jihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS) meldete indes die „Befreiung“ von mehreren Frauen aus kurdischer Haft in Syrien. Die Extremistengruppe erklärte am Donnerstag über den Kurzmitteilungsdienst Telegram, ihre Kämpfer hätten ein Hauptquartier der kurdischen Sicherheitskräfte westlich von Raqqa gestürmt und von den Kurden „entführte muslimische Frauen befreit“.

Ob es Frauen von Kämpfern oder IS-Mitglieder waren, blieb offen. Seit Beginn der türkischen Offensive gegen die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Nordsyrien besteht international die Sorge, dass die tausenden inhaftierten IS-Anhänger in kurdischer Haft die Chance zur Flucht nutzen.

In den vergangenen Tagen wurden bereits mehrere Ausbrüche und Fluchtversuche gemeldet. Insbesondere sollen knapp 800 Frauen und Kinder von IS-Kämpfern aus einem Lager bei Ain Issa geflohen sein. Laut dem Außenamt in Wien befinden sich derzeit drei Österreicher in nordsyrischen Lagern - neben der Salzburgerin Maria G. und ihren beiden Kleinkindern und der Wienerin Evelyn P. mit ihrem Sohn auch ein Österreicher mit türkischen Wurzeln.

Nach Schätzungen der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte sind seit Beginn der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien mehr als 300.000 Menschen aus der Grenzregion geflüchtet. Wie die in London ansässige Organisation mitteilte, floh die Mehrzahl aus den umkämpften Gebieten um die syrischen Städte Tal Abyad und Kobane sowie aus der syrischen Provinz Hasaka.