Johnson ruft zu Unterstützung für Brexit-Deal auf

Der britische Premierminister Boris Johnson hat eindringlich an das Unterhaus appelliert, für sein mit Brüssel ausgehandeltes Brexit-Abkommen zu stimmen. „Heute hat dieses Haus eine historische Gelegenheit“, so Johnson am Samstag zum Auftakt einer Sondersitzung des Parlaments in London. Der Deal sei die „größte einzelne Wiederherstellung nationaler Souveränität in der Geschichte des Parlaments.“

Parlamentssprecher John Bercow ließ unterdessen einen Ergänzungsantrag zur Abstimmung zu, der die Entscheidung über Johnsons Brexit-Abkommen aufschieben würde. Der vom ehemaligen konservativen Abgeordneten Oliver Letwin eingebrachte Antrag sieht vor, dass das Parlament vor einem Votum über die EU-Ausstiegsvereinbarung erst formell den Gesetzesvorschlag zur Umsetzung dieses Brexit-Vertrags verabschieden muss. Eine Annahme des Letwin-Antrags würde dazu führen, dass das Parlament am Samstag nicht über den Brexit-Vertrag abstimmt.

Johnson will Großbritannien am 31. Oktober aus der Europäischen Union führen. Die Abgeordneten sollen in einer in den Medien als „Super Saturday“ bezeichneten historischen Sondersitzung über den kürzlich vereinbarten neuen Brexit-Deal abstimmen. Seit dem Falklandkrieg vor 37 Jahren hat es keine Parlamentssitzung mehr an einem Samstag gegeben.

Den Auftakt gibt Johnson mit einem Statement zum Verlauf des EU-Gipfels und zu seinem Brexit-Abkommen. Anschließend dürfte es eine mehrstündige Debatte geben. Mit dem Beginn der Abstimmungen wird gegen 15.30 Uhr (MESZ) gerechnet.

Johnson steht unter Druck, die Zustimmung des Unterhauses zu seinem Deal noch am Samstag zu erhalten. Sonst ist er per Gesetz verpflichtet, einen Antrag auf Verlängerung der am 31. Oktober auslaufenden Brexit-Frist in Brüssel zu beantragen. Bei einer Niederlage könnte Johnson auch versuchen, die eigene Regierung durch eine Vertrauensabstimmung zu Fall zu bringen und so eine Neuwahl auszulösen. Ausschließen wollte er das in einem Interview mit dem britischen Sender ITV am Freitagabend nicht.

Der Premierminister hat keine eigene Mehrheit im Parlament. Er ist daher auf die Unterstützung aus der Opposition angewiesen. Neben einer Reihen von Abgeordneten, die er im September aus der Fraktion geworfen hat, dürfte Johnson vor allem versuchen, Labour-Abgeordnete auf seine Seite zu ziehen. Der Ausgang der Abstimmung könnte nach Ansicht britischer Medien denkbar knapp ausfallen.

Die Koalition gegen einen No-Deal-Brexit, die Johnson im Unterhaus inzwischen rund ein halbes Dutzend Niederlagen beschert hat, ist gespalten. Ein Teil will den Widerstand aufgeben, andere sorgen sich, dass der Premier mit dem Deal bereits die Weichen für eine künftige Beziehung mit der EU stellt, die weniger von Partnerschaft als vielmehr von Konkurrenz geprägt ist. Beispielsweise könnte Johnson versuchen, Großbritannien durch geringere Steuern für Unternehmen und niedrigere Arbeitnehmer- und Umweltstandards einen Standortvorteil zu verschaffen. Johnson streitet das zwar ab, aber viele sehen darin lediglich den Versuch, Labour-Abgeordnete auf seine Seite zu ziehen.

Manche fürchten gar, der Premierminister könnte doch noch einen ungeregelten EU-Austritt am 31. Oktober herbeiführen, indem er die Ratifizierung des Brexit-Vertrags scheitern lässt. Sollte der Deal am Samstag durchgehen und Großbritannien rechtzeitig ausscheiden wollen, müsste das Parlament vor dem 31. Oktober noch den Austrittsvertrag mit einem Gesetzgebungsverfahren ratifizieren. Gelänge das nicht, wäre ein No-Deal-Brexit die Folge.