Türkei wirft Kurdenmiliz Verstoß gegen Waffenruhe vor

Die Türkei und die kurdischen Milizen in Nordsyrien haben sich gegenseitig vorgeworfen, gegen die ausgehandelte Waffenruhe zu verstoßen. Die kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) beschuldigten Ankara, die Vereinbarung nicht einzuhalten und den Abzug ihrer Kämpfer zu blockieren. Die Türkei wies dies zurück und warf den kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) Angriffe vor.

US-Vizepräsident Mike Pence hatte nach langen Verhandlungen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Donnerstagabend eine Vereinbarung über eine fünftägige Waffenruhe für Nordsyrien verkündet. Sie soll den YPG-Kämpfern den Abzug aus einer geplanten „Sicherheitszone“ an der türkischen Grenze erlauben. Allerdings herrscht keine Einigkeit über das genaue Ausmaß dieser Pufferzone.

Die SDF warf Ankara am Samstag vor, ihre Kämpfer am Abzug aus Ras al-Ain zu hindern. Die Türkei blockiere den Abzug der SDF-Kämpfer, der Verwundeten und der Zivilisten aus dem Gebiet um die Grenzstadt, sagte der SDF-Kommandant Mazloum Abdi. Kurz darauf meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, dass ein medizinischer Konvoi 30 Verletzte aus Ras al-Ain gebracht habe.

Wenn die USA nicht mehr Druck auf die Türkei ausübten, müssten sie „die volle Verantwortung für die Angriffe auf unsere Truppen“ tragen, warnte Abdi zudem. Die Beobachtungsstelle hatte am Freitag gemeldet, dass in Nordsyrien 14 Zivilisten durch türkische Luft- und Mörserangriffe getötet worden seien. Nach den Kämpfen am Freitag war am Samstag aber kein Gefechtslärm mehr aus Ras al-Ain zu hören, wie Reporter berichteten.

Ein türkischer Regierungsvertreter wies den Vorwurf Abdis zurück, die YPG-Kämpfer am Abzug zu hindern. „Die Türkei steht zu hundert Prozent hinter dem Deal. Es ist bizarr zu glauben, dass wir gegen eine Vereinbarung verstoßen würden, die uns gefällt“, sagte der ungenannte Vertreter. Das Verteidigungsministerium in Ankara warf der YPG vor, binnen 36 Stunden 14 Angriffe verübt zu haben, davon zwölf aus Ras al-Ain.

Laut der Beobachtungsstelle haben sich die kurdischen Milizen „noch von keinem Punkt zurückgezogen“. US-Außenminister Mike Pompeo sprach von einem Problem der „Koordination“ beim Abzug der YPG-Kämpfer und rief beide Seiten auf, ihre Zusagen einzuhalten. Erdogan drohte erneut mit einer Wiederaufnahme der Offensive, sollte die YPG-Miliz bis Dienstagabend nicht wie vereinbart abgezogen sein.

Abdi betonte, die Waffenruhe und die Vereinbarung zum Abzug der Kämpfer beträfen nur den 120 Kilometer langen Grenzabschnitt zwischen den Städten Ras al-Ain und Tal Abjad, auf den sich die türkische Offensive konzentriert hat. Laut Erdogan soll sich die „Sicherheitszone“ jedoch über 444 Kilometern bis an die irakische Grenze erstrecken. In der Vereinbarung mit Pence ist das Ausmaß der Pufferzone nicht klar geregelt.

Abdi sagte, er sei enttäuscht über die widersprüchlichen Äußerungen von US-Präsident Donald Trump und den Abzug der US-Truppen, der den Weg für die türkische Offensive freigemacht hatte. Er betonte aber, es sei weiterhin „in unserem Interesse, dass die amerikanischen Truppen bleiben, um das Gleichgewicht in Syrien zu halten“. Ohne die USA würden „die Russen und andere allein das Terrain beherrschen“.

Trump sieht sich wegen der Entscheidung zum Abzug der Truppen auch in seiner eigenen Partei scharfer Kritik ausgesetzt. „Die US-Truppen aus Syrien abzuziehen, ist ein schwerer strategischer Fehler“, schrieb der Mehrheitsführer der Republikaner im US-Senat, Mitch McConnell, am Freitag in der „Washington Post“. Der Rückzug aus Syrien mache die USA unsicherer, stärke deren Feinde und schwäche wichtige Verbündete.