Russischer Botschafter: „Kein Alleingang Russlands in Syrien“
Der russische Botschafter in Österreich, Dmitrij Ljubinskij, betont die Notwendigkeit des kollektiven Handelns der Weltgemeinschaft bei Konflikten und sieht wieder eine stärkere Zusammenarbeit mit Europa.
Innsbruck – Die Tiroler Tageszeitung sprach mit dem russischen Botschafter in Österreich über Russlands neue Rolle in der Nahost- und Weltpolitik, über den Konflikt mit der Ukraine und die Beziehungen zu Europa und Österreich.
Russland spielt nun in Syrien die erste Geige. Hat Russland die Rolle als Ordnungsmacht im Nahen Osten von den USA übernommen?
Dmitrij Ljubinskij: Verzeihung, aber ich glaube, das ist eine falsche Fragestellung. Der Nahe Osten ist zu kompliziert, um hier überhaupt über die Rolle nur einer Ordnungsmacht – welcher auch immer – zu sprechen. Momentan geht es in erster Linie um Syrien, aber es gibt auch andere Brandherde – der Irak steht am Rande einer Explosion, der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist weit von einer Lösung entfernt. Alle wichtigen Spieler müssen zusammenarbeiten, um die Lage zu stabilisieren. Das gilt auch für viele andere Regionen in dieser Welt. Es geht hier gerade um fundamentale Prinzipien der Weltpolitik und der Außenpolitik Russlands. In jedem grausamen Konflikt ist in erster Linie das kollektive Handeln der Weltgemeinschaft entscheidend, ein verantwortungsvolles und völkerrechtskonformes Handeln unter Einbeziehung des UNO-Sicherheitsrates. „Das Recht des Stärkeren“ – ein Prinzip, das die USA noch immer überall in der Welt in Bezug auf ihre Interessen durchzusetzen versuchen – muss endgültig in die Geschichtsbücher verschwinden. Was Syrien anbetrifft: Ja, Russland hat die meiste Verantwortung auf Einladung der legitimen Regierung in Damaskus übernommen. Aber wir handeln nicht alleine. Alles, was wir in Syrien unternehmen, machen wir in Einvernehmen mit der syrischen Regierung. Die jüngste Absichtserklärung zwischen den Präsidenten Russlands und der Türkei (Sotschi-Memorandum) ist ein sehr schwieriger, aber bahnbrechender Kompromiss, und in diesem Sinne keine Ausnahme.
Bringt das Engagement in Syrien nicht auch große Gefahren mit sich?
Ljubinskij: Der Konflikt in Syrien, wie im Prinzip jeder eskalierende Konflikt, bringt natürlich ernsthafte Gefahren mit sich. In Sachen Terrorismus und Extremismusbekämpfung ist nichts selbstverständlich. Gefragt ist geschickte Diplomatie. Es wird sehr hart daran gearbeitet, diesem Land und darüber hinaus der ganzen Region wieder Frieden, Sicherheit und Ordnung zu bringen. Die Außenminister der Garantie-Staaten des Astana-Formats bestätigten erst kürzlich am 29. Oktober in Genf die grundlegenden Prinzipien der Konfliktregelung in Syrien – Souveränität, Unabhängigkeit, Einheit und territoriale Integrität der Syrischen Arabischen Republik. Ein weiterer und lange erwarteter Schritt auf dem Weg zu einem neuen Syrien wurde bereits vorige Woche auch in Genf gemacht. Dort hat das Verfassungskomitee seine schwierige Arbeit aufgenommen.
Und die syrischen Kurden bleiben bei der Neuordnung Syriens auf der Strecke?
Ljubinskij: Bei den Verhandlungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wurden die Anliegen der Kurden keineswegs ausgeklammert.
Zum Konflikt in der Ukraine: Zuletzt hat es Zeichen der Entspannung gegeben. Kann mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Selenskij ein Friedensprozess in Gang kommen?
Ljubinskij: Der Konflikt ist ein innerukrainischer und keinesfalls ein Konflikt Russlands mit der Ukraine, wie viele westliche Medien die Situation in Donbass zu bezeichnen pflegen. Im Südosten der Ukraine hat endlich ein Truppenrückzug aus drei Ortschaften begonnen. Dieser wurde aber wieder gestoppt. Ich will daran erinnern, dass eine entsprechende Vereinbarung auf dem Normandie-Format-Gipfel in Berlin vor mehr als drei Jahren getroffen wurde. Seitdem hat die ehemalige Führung der Ukraine nichts getan. Nach dem Amtsantritt des neuen ukrainischen Präsidenten scheint sich die Situation nun etwas zu ändern. Doch wir müssen abwarten, ob der Oberbefehlshaber in der Ukraine seine Befehle zur Truppenentflechtung bei starkem Gegenwind auch wirklich durchsetzen kann. Davon hängt entscheidend ab, ob der Konflikt beigelegt werden kann.
Ist ein Gipfeltreffen von Kremlchef Putin mit dem neuen ukrainischen Präsidenten Selenskij möglich?
Ljubinskij: Sag niemals nie. Ein Treffen muss gut vorbereitet sein und Ergebnisse bringen. Die Grundlage bleibt der Minsker Friedensplan, der umgesetzt werden muss.
Wie steht es um die Beziehungen zu Europa? Die nach der Annexion der Krim verhängten Sanktionen sind ja noch aufrecht.
Ljubinskij: Russland steht zum Dialog und ist zur Wiederherstellung der Zusammenarbeit mit der EU offen und bereit. Das kann aber keine Einbahnstraße sein. Leider ist die gegenseitige Annäherung durch einige wenige Gegenstimmungen auf der EU-Seite nach wie vor gezielt blockiert. Russland war und ist kein Befürworter von Problemlösungen durch willkürliche Sanktionen. Das führt beide Seiten in die Sackgasse. Und das vor den Augen eines lachenden Dritten. Die EU war und bleibt einer der wichtigsten Handelspartner für Russland – trotz aller Sanktionen. Nach einem umfänglichen Einbruch steigen jetzt die Handelsvolumen und die gegenseitigen Investitionen wieder. Zudem ist der Brückenschlag zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und der EU wichtig. Und es freut mich, dass man in Österreich die Perspektive für diese Zusammenarbeit versteht und kein Hehl daraus macht.
Wie gestalten sich Russlands Beziehungen zu Österreich?
Ljubinskij: In den russisch-österreichischen Beziehungen gibt es keine belastenden Probleme. Die im Mai in Sotschi zwischen den Präsidenten unserer Staaten getroffenen Vereinbarungen werden planmäßig umgesetzt. Eines der wichtigsten Projekte ist der gestartete „Sotschi-Dialog“. Die nächste Sitzung des Forums ist 2020 in Salzburg geplant. Der politische Dialog geht voran. Auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit entwickelt sich wieder stetig nach oben: 2018 ist der Warenumsatz zwischen Österreich und Russland um mehr als 40 Prozent im Vergleich zu 2017 auf 5,8 Milliarden US-Dollar gestiegen. Österreichische Firmen wie etwa Voith Hydro, Doka GmbH und andere haben dieses Jahr neue Produktionswerkstätten in Russland eröffnet. Auch die russischen Regionen entwickeln ihre Zusammenarbeit mit den österreichischen Bundesländern. Tirol ist ein gutes Beispiel dafür. In den letzten zwei Jahren wurden hier einige interessante Kooperationsprojekte entwickelt, etwa mit der Region Karatschai-Tscherkessien mit Schwerpunkt auf den Tourismus. Wir sind zuversichtlich, dass auch die künftige österreichische Regierung den Kurs in Richtung der Entwicklung von konstruktiven, pragmatischen Beziehungen mit Russland erhalten und weiterhin vertiefen wird.
Das Interview führte Christian Jentsch