Ötztal/Pitztal

Gipfel der Empörung: Ringen um UVP für Gletscherehe

Die Visualisierung der geplanten Fernerkogelbahn.
© Bergbahnen Sölden

Für die Projektbetreiber ist Pitztal/Ötztal das bestgeprüfte Vorhaben der Alpen. Trotzdem wird es für die Umweltprüfung zeitlich sehr eng.

Von Peter Nindler und Manfred Mitterwachauer

Sölden, St. Leonhard — Bilder in den Köpfen zurechtrücken: Der Geschäftsführer der Söldener Bergbahnen, Jakob Falkner, versucht das hoch oben auf dem Tiefenbach Gletscher. Auf der gegenüberliegenden Seite thront der Linke Fernerkogel, darunter liegt ein Vorgipfel und noch ein Stück weiter unten die Spitze eines Berggrats. „Hier wird kein Gipfel gesprengt, sondern der Grat für die Mittelstation der neuen Seilbahn begradigt", erklärt Falkner. Er weiß, dass die „falschen Darstellungen" in den vergangenen Tagen ein ungutes Bauchgefühl ausgelöst haben: „Deshalb müssen wir mit Fakten antworten." Er hofft, die negativen Schlagzeilen mit Sachlichkeit in den Hintergrund zu drängen.

100.000 Unterschriften gegen Gletscherehe

Der St. Leonharder Bürgermeister Elmar Haid berichtet von empörten Droh-Mails und Beschimpfungen. „Wir werden als Naturzerstörer bezeichnet, obwohl die Bilder und Meldungen nicht den Tatsachen entsprechen." Trotzdem: Rund 100.000 Unterschriften wurden bereits bis Mittwochabend unter die vom Naturschutzaktivisten Gerd Estermann gestarteten Online-Petition gegen die Gletscherehe gesetzt. Viele auch aus Deutschland. Der Grat, der um 36 Meter abgetragen wird, schaukelte sich zum Gipfel der Empörung hoch. Deshalb wollten die Pitztaler und Ötztaler gestern den Blick auf den Zusammenschluss ihrer Gletscherskigebiete verdichten. Falkner: „Was so nahe beieinanderliegt, macht einfach Sinn. Das ist eine Riesenchance."

Der Standpunkt der Touristiker aus den beiden Tälern, der Regionalpolitiker und Seilbahnchefs ist klar: Innerhalb der 2005 mit einer raumordnungstechnischen Widmung des Landes Tirol ermöglichten skitechnischen Erweiterung wird der Zusammenschluss erfolgen — natürlich mit Eingriffen, aber nachhaltig. „Um mittel- und langfristig den Standort abzusichern", betont der Sölder Bürgermeister Ernst Schöpf (VP). Die „unsachliche Kritik" bezeichnet er als „Geschwätz", bei der öffentlichen Interessenabwägung am Ende der Umweltverträglichkeitsprüfung erwartet sich Schöpf ein klares Bekenntnis vom Land. „Es gibt die Zusagen, die Verträge sind einzuhalten." Die vom Grünen-Klubchef kritisierten 64 Hektar Pistenflächen bezeichnet er als „entbehrliche Aussagen".

Immer wieder wird auf die positiven Effekte verwiesen, auf die man mit dem Zusammenschluss setzt: Vor allem die wirtschaftliche Stagnation im Pitztal sowie die Abwanderung sollen gestoppt werden. „800 Betten gingen verloren", schildert der dortige Tourismusverbandsobmann Rainer Schultes. Dazu kommt noch ein Rückgang der Bevölkerungszahl in St. Leonhard von 1530 auf nunmehr 1380. Die massive Abwanderung sei auch auf mangelnde Perspektiven zurückzuführen, ergänzt Bürgermeister Haid. Für Schöpf ist die Gletscherehe eine konkrete Maßnahme für den ländlichen Raum, abseits vieler Sonntagsreden.

Wohl keine rasche Entscheidung

Mit einer raschen Entscheidung wird nicht gerechnet, frühestens zur Jahresmitte 2020 könnte der Bescheid für die Umweltverträglichkeitsprüfung vorliegen.

Visualisierung des Seilbahnzentrums.
© Bergbahnen Sölden

37 Gutachten werden erstellt, das Verfahren ist komplex und noch gibt es offene Fragen. Sollten sie bis End­e der Woche geklärt werden, startet die öffentliche UVP-Erörterung wie geplant am 9. Dezember. Sonst erst im Jänner. Danach wird es Einsprüche geben, schlussendlich werden wohl das Bundesverwaltungsgericht bzw. der Verwaltungsgerichtshof entscheiden.

Wie lange reicht der Geduldsfaden, schließlich steigen ja auch die Kosten? „Wir haben einen langen Atem und geben sicher nicht auf", setzt der Geschäftsführer der Pitztaler Gletscherbahnen, Eberhard Schultes, zumindest nach dem gestrigen Lokalaugenschein einen Schlusspunkt.

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Kostenzer: „Das ist ein Etikettenschwindel"

Landesumweltanwalt Johannes Kostenzer nimmt für sich in Anspruch, sich in den vergangenen Jahren „zu allen Jahreszeiten ein ausführliches Bild" von den Örtlichkeiten am Pitztaler wie Ötztaler Gletscher gemacht zu haben. Das, was die Projektwerber unter dem Stichwort „Zusammenschluss" verkaufen würden, ist für Kostenzer daher nichts anderes als „der Bau eines dritten neuen Gletscherskigebietes zwischen zwei bestehenden". Deshalb werde rund um das umstrittene Projekt auch ein „Etikettenschwindel" betrieben.

Die Landesumweltanwaltschaft hat bereits eine negative Stellungnahme abgegeben. Aus den Einreichunterlagen kristallisiert sich für Kostenzer klar heraus, dass es zu „massiven Geländebewegungen" kommen werde. Und dabei sei die Errichtung der Skipisten noch gar nicht eingerechnet. Gerade in einer vom Menschen noch weitgehend unberührten Naturlandschaft wie der gegenständlichen seien die zu erwartenden Umweltbelastungen als schwerwiegend zu bezeichnen. Ebenso verhalte es sich mit den landschaftlichen Veränderungen durch die Begradigung eines Berggrates und ähnlichen geplanten Eingriffen.

Auch Kostenzer geht bereits heute davon aus, dass — unabhängig von der noch offenen erstinstanzlichen Behördenentscheidung — das Projekt erst in Wien vor dem Verwaltungsgerichtshof entschieden werde. Ob die Umweltanwaltschaft selbst diesen Gang anstrebt, kann Kostenzer mit Verweis auf das offene Verfahren noch nicht sagen: „Uns liegen noch nicht alle Gutachten vor." Fakt sei für ihn aber, dass „der Bau ein völlig falsches Signal ist und in eine völlig falsche Richtung geht".

In dem starken Zulauf zur Online-Petition der Gegner sieht Kostenzer indes ein wichtiges Zeichen, wie die Bevölkerung die Entwicklung wahrnehme. Dennoch glaubt er nicht, dass die Landespolitik jetzt gut beraten wäre, sollte sie die Reißleine ziehen: „Wir leben in einem Rechtsstaat. Jeder Antragsteller hat das Recht auf ein ordentliches Verfahren."

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