EuGH: Gericht in Polen soll zur Unabhängigkeit der Justiz entscheiden
Die nationalkonservative Regierung in Polen baut mit Nachdruck das Justizsystem des Landes um. Kritiker fürchten gravierende politische Einflussnahme. In einem Streitpunkt hat das oberste EU-Gericht nun aber Fragen offen gelassen.
Luxemburg – Im Streit um die Justizreformen in Polen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) dem Obersten Gericht in Polen eine schwierige Entscheidung übertragen. Es müsse klären, ob die dort neu geschaffene Disziplinarkammer unabhängig sei, erklärten die obersten EU-Richter am Dienstag in Luxemburg (Rechtssachen C-585/17, C-624/18, C-625/18).
Ein EuGH-Gutachter hatte zuvor noch erklärt, die Kammer erfülle nicht die Anforderungen europäischen Rechts. Die polnische Regierung will an ihren Reformen festhalten.
Die nationalkonservative Regierung in Warschau erweiterte aus Sicht von Kritikern in den vergangenen Jahren systematisch die Möglichkeiten zu politischem Einfluss auf das Justizsystem. Die EU-Kommission stieß in der Folge zwei Strafverfahren wegen Zwangspensionierungen von Richtern an, der EuGH entschied hier in ihrem Sinne. Die Regierung in Warschau änderte in der Zwischenzeit einige der umstrittenen Maßnahmen. Eine dritte Klage reichte die EU-Kommission im Oktober wegen zweifelhafter Disziplinarmaßnahmen gegen Richter an ordentlichen Gerichten ein.
Die Brüsseler Behörde startete darüber hinaus 2017 ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge gegen das Land. Damit können einem Staat bei Verstößen gegen EU-Grundrechte im äußersten Fall Stimmrechte entzogen werden. Das Verfahren gegen Polen stockt jedoch.
Oberstes Gericht in Polen schaltete EuGH ein
Im aktuellen Fall hatte das Oberste Gericht in Polen den Europäischen Gerichtshof eingeschaltet, da es Zweifel an der Unabhängigkeit der Disziplinarkammer hatte. Sie ist ein Schlüsselelement der von der PiS initiierten Justizreformen. Die neue Kammer wurde bisher mit zehn Mitgliedern besetzt, die meisten davon Staatsanwälte aus der Umgebung von Justizminister Zbigniew Ziobro und andere PiS-nahe Juristen. Die Disziplinarkammer kann jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen.
Ernannt werden die Mitglieder der Disziplinarkammer vom Präsidenten der Republik, ausgewählt vom Landesjustizrat. Dieser soll eigentlich die Unabhängigkeit der Richter garantieren. Früher hatten in ihm Richter die Mehrheit, die von anderen Richtern gewählt wurden. Doch seit der PiS-Justizreform Ende 2017 werden die Mitglieder des Landesjustizrats vom Parlament gewählt.
Der Umstand, dass der Staatspräsident die Richter in der Disziplinarkammer ernenne, schaffe noch keine Abhängigkeit von der Politik, wenn die Richter nach ihrer Ernennung keinem Druck ausgesetzt seien und bei der Ausübung ihres Amtes keinen Weisungen von außen unterlägen, erklärte der EuGH weiter.
Aus Sicht der Luxemburger Richter ist die Unabhängigkeit des Landesjustizrats durchaus fraglich, etwa durch die in ihm geltenden Besetzungsverfahren. Auf eine abschließende Beurteilung verzichtete der EuGH aber.
Polens Justizminister Zbigniew Ziobro zeigte sich zufrieden über die Entscheidung. Es sei, war er erwartet habe. „Nämlich, dass der EuGH nicht zuständig ist für die Beurteilung von Angelegenheiten, die die Organisation der polnischen Gerichtsbarkeit betreffen. Er hat den Ball auf das polnische Feld zurückgeworfen.“
OGH sieht sich bestätigt
Auch die Vorsitzende des Obersten Gerichtes, Malgorzata Gerstorf, sah sich in dem Urteil bestätigt. Der EuGH teile die Bedenken des Obersten Gerichts. Gerstorf rief die polnische Regierung und das Parlament auf, die vom EuGH hervorgehobenen Fehler im System zu beheben. Das Oberste Gericht werde „ohne unnötige Verzögerung“ über die Angelegenheit entscheiden, die der EuGH zurück verwiesen habe.
Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kündigte in einer Regierungserklärung an, am umstrittenen Umbau der Justiz festzuhalten. Die Unabhängigkeit der Richter sei wichtig, dürfe aber nicht zum Mangel an Verantwortung führen, sagte er. „Das demokratische Parlament hat Einfluss auf die Besetzung von Gerichten in jedem Land, in den USA, in Frankreich und in Spanien.“
In seiner Regierungserklärung versprach Morawiecki auch, den Sozialstaat weiter ausbauen und Familien stärker unterstützen zu wollen. „Die Familie ist ein erzpolnischer Wert“, sagte der Ministerpräsident. Die PiS sei nicht einverstanden damit, dass „Experimente und Lösungen von Minderheiten“ definierten dürften, was die Norm sei. Kritiker werfen den Nationalkonservativen in Warschau Intoleranz gegenüber sexuellen Minderheiten vor.
„Unser wichtigstes Ziel ist es, Polen zum besten Ort zum Leben in Europa zu machen“, beteuerte er. Es sei die Aufgabe des Staates, Unterschiede zwischen Arm und Reich auszugleichen und soziale Gerechtigkeit herzustellen.
Bei der Parlamentswahl im Oktober hatte die nationalkonservative Regierungspartei PiS erneut die absolute Mehrheit im Sejm errungen. Im Wahlkampf hatte die PiS mit einem Programm weiterer Sozialleistungen geworben. Morawiecki wollte am Dienstagabend die Vertrauensfrage für sein neues Kabinett stellen. Dies sieht die polnische Verfassung vor. Um den Ausgang muss sich der Ministerpräsident keine Sorgen machen. Die PiS stellt im Sejm 235 von 460 Abgeordneten. (dpa)