TT-Forum in Imst

Ötztal/Pitztal: Tiefe Gräben auf dem Weg zu einer Gletscherehe

Rund 700 Besucher lockte das TT-Forum in den Imster Stadtsaal. Gegner wie Befürworter konnten sich gegenüber dem Podium zu Wort melden – was auch ausgiebig in Anspruch genommen wurde
© Thomas Boehm / TT

Das TT-Forum über den geplanten Zusammenschluss der Gletscherskigebiete im Ötztal und Pitztal sorgte im Imster Stadtsaal für einen übervollen Saal. Eine richtige Annäherung zwischen Befürwortern und Gegnern des umstrittenen Projektes war nicht erkennbar.

Von Alexander Paschinger

Imst –Betroffenheit bewegt und diese Motivation mobilisiert – mit 700 Besuchern brechend voll präsentierte sich am Dienstagabend der Imster Stadtsaal anlässlich des TT-Forums in Imst. Gewissermaßen auf neutralem Boden – ging es doch in einer emotionsgeladenen Debatte um die Frage, ob es sich bei der geplanten Gletscherehe zwischen Ötztal und Pitztal um eine Chance oder eine Umweltsünde handelt. Zu dieser Diskussion begrüßte TT-Chefredakteur Alois Vahrner den Sölder Seilbahner Jakob „Jack“ Falkner, den Initiator der Online-Petition gegen diese Gletscherehe, Gerd Estermann, sowie die beiden Klubobleute der Tiroler Regierungsparteien, Jakob Wolf (ÖVP) und Gebi Mair (Grüne), am Podium.

Wohl nur die Fasnacht vermag es in Imst, den Stadtsaal ähnlich massiv zu füllen. Aus dem Pitztal und Ötztal kamen große Abordnungen aus der Tourismuswirtschaft, auch die Gegner sicherten sich schon eine Dreiviertelstunde vor Beginn die Sitzplätze. Eine Viertelstunde vor dem Start standen die ständig hinzukommenden Besucher bereits im Foyer.

Das Podium mit Gebi Mair (Grüne), Seilbahner Jack Falkner, TT-Chefredakteur Alois Vahrner, Aktivist Gerd Estermann und VP-Klubobmann Jakob Wolf (v.l.) stand Rede und Antwort.
© Thomas Boehm / TT

132 Millionen Euro wollen die Pitztaler und Ötztaler Gletscherbahnen in die Verbindung samt 64 Hektar neuer Pisten dazwischen investieren. „Es geht um die nächste Generation“, erklärte dazu Jack Falkner. Er kenne von seinen Eltern noch die Erzählungen über die Armut in den Tälern. „Wir leben in einem Tourismusland“, betonte er. Skigebietsgröße, Schneesicherheit und moderne Anlagen seien die Gründe, weshalb der Gast eine Urlaubsregion wähle.

Was die mediale Aufmerksamkeit über einen „ganzen Gipfel“, der „weggesprengt wird“, betrifft, schüttelt Falkner nach wie vor den Kopf: Wäre er in Wien oder München daheim und hätte diese „Fake News“ so online gesehen, „dann hätte ich wohl auch geklickt“, meint er. Im Gegenzug betonte er: Die 11.200 Seiten UVP-Unterlagen, die 700 Pläne sowie zahlreiche Gutachten ergäben das „bestgeprüfte Projekt“.

Petitionsinitiator Gerd Estermann erklärte dazu, dass diese Meldungen von Medien gemacht worden seien. Er habe sich davon distanziert. Sehr wohl bleibt er aber bei der Kritik an diesem Projekt, das „eine Vergewaltigung der Natur“ darstelle, zählte er Massenbewegungen wie die 120.000 m³ Abtragung für die Mittelstation mit dreistöckigem Restaurant sowie Flächenverbrauch auf. Ihm gehe es darum, dass „auch die Mächtigen nicht alles tun können“. Viele Jahre sei man über alle Grenzen gegangen, in Tirol gebe es „verhängnisvolle Seil- und Seilbahnschaften“, es sei „diese Arroganz und Unverfrorenheit“, die die Leute dazu bringe, die Petition zu unterschreiben.

Neben Wortwahl wurden rasch auch die Fakten kritisiert. Falkner etwa beharrte darauf, dass man einen Gletscher nutzen wolle, und „präparierte Pisten sind nicht viel schlechter als unpräparierte Gletscher“. Estermann konterte: „Wenn man den Unterschied zwischen Gletscher und Piste nicht erkennt, kann man auch einen englischen Rasen von einer Blumenwiese nicht unterscheiden.“

Auch im Ötztal gibt es kritische Stimmen: Im vorderen Talbereich befürchtet man noch mehr Verkehr.
© Thomas Boehm / TT

Die beiden Klubobleute Jakob Falkner und Gebi Mair klärten ihrerseits über die prinzipielle Ermöglichung des Projektes auf: 2006 wurde der Gletscherschutz in dieser Region so umgestaltet, dass eine Verbindung Ötztal-Pitztal möglich wäre. Im ersten Regierungsprogramm von Schwarz-Grün war noch die Rede von einer „maximalen Überspannung“. Nach der Projekteinreichung 2016 („was eingereicht wird, dafür sind die Projektwerber verantwortlich“, so Wolf) einigte man sich im Koalitionspapier auf die „Außer-Streit-Stellung“, zumal die Behörden am Zug seien.

Warum das Verfahren bereits so lange dauert, ist für Gebi Mair klar: Die Gutachten seien „teilweise mittelmäßig“, er glaube nicht, dass die Behörde das Verfahren zulasse, und ist überzeugt, dass ein kleineres Projekt mehr Chancen hätte. Dass das eingereichte Projekt nur 0,6 Prozent der Gletscherfläche benötige, verbesserte der Grünen-Klubobmann: „Es sind sogar noch weniger – in 30 Jahren sind davon nämlich 0 Prozent Gletscher übrig“, zweifelt er an der Nachhaltigkeit. Wolf wiederum hofft auf ein sachliches UVP-Verfahren, ist für das Projekt und meint: „Die Koalition wird deshalb nicht in die Luft gesprengt.“ Vielmehr bräuchten die Pitztaler das Projekt, damit keine weitere Abwanderung stattfinde, und für das Ötztal sei es eine Qualitätsverbesserung. Über die Notwendigkeit der Hilfe für das Pitztal waren sich Wolf und Mair einig.

Diese Perspektiven für das Pitztal beherrschten auch gleich die ersten Wortmeldungen aus der – vornehmlich jungen – Pitztaler Unternehmerschaft. Naturschutz müsse man sich auch leisten können, meinte etwa Alfons Schmid. Wie man einen jungen Menschen überzeugen wolle, ohne ein solches Projekt im Tal zu bleiben, wollte Tirols WK-Präsident Christoph Walser wissen. Gastronom Philipp Eiter wiederum relativierte die 150.000 Petitions-Unterschriften – er selbst wurde mit zwei verschiedenen E-Mail-Adressen als zweifacher Unterzeichner aufgenommen.

Hier werde „auf hohem Niveau gejammert“, konterte Estermann. St. Leonhard habe ein Dreifaches an Budget wie seine Heimatgemeinde Mötz, bemühte er noch einmal einen vor Wochen herangezogenen Vergleich. Und wieder konterte BM Elmar Haid, dass diese Gemeinden allein von der Größe und Infrastruktur her nicht zu vergleichen seien. Bezüglich der Petitions-Klicks räumte Estermann Doppelzählungen ein, betonte aber, dass 76 Prozent aus Österreich kämen.

Emotional wurde es auch in einem anderen Zusammenhang: Ein bayerischer Landschaftsökonom hatte das Sölder Skigebiet als jenes mit dem größten ökologischen Fußabdruck beschrieben. Das wies Falkner wiederum anhand einer Expertise zurück. Dies vor allem deshalb, weil das Rettenbach bei Going im Unterland fälschlicherweise als „Rettenbach-Ferner“ dem Sölder Skigebiet zugerechnet wurde. Falkners Aufforderung an Liliana Dagostin vom Alpenverein, dies zurückzunehmen, wies diese wiederum zurück. Es gebe andere Parameter, nach denen Sölden sehr wohl schlecht abschneide. Falkner übergab ihr wiederum seine mehrseitige Expertise über das Gegenteil und bot sowohl ihr als auch Estermann Gespräche an.

Die Bezirkssprecherin der Grünen im Außerfern, Regina Karlen, lenkte in ihrer Wortmeldung das Thema auf den zu erwartenden Verkehr. „Wer hat sich unseren Samstagsstau angeschaut?“, kritisierte sie. Während die öffentliche Hand im Ötztal Ortsumfahrungen bezahlen würde, „haben wir es satt, der Auspuff des Oberlandes zu sein“.

„Der Verkehr wurde untersucht“, verweist Falkner auf die Gutachten, die im Übrigen insgesamt bislang drei Millionen Euro gekostet hätten. „Der natürliche Verkehr wird bis 2030 um 30 Prozent steigen – durch den Gletscher kommt nur minimal etwas dazu.“ Dazu gab es einen Konter von Gebi Mair am Podium: Das Gutachten komme zum Schluss, dass es „so viel natürlichen Zuwachs“ gebe, „dass es grad schon wurst ist“.

Was den Fernpass betrifft, so wisse man, dass er ein Problem darstellt. „Das ist aber Sache des Landes und des Bundes“, ist Falkner überzeugt. „Die großen Brocken und Versäumnisse werden wir nicht hinten drinnen in den Tälern erledigen können.“ Vielmehr würde man die eigenen Hausaufgaben machen, verweist er auf ein funktionierendes Bussystem im Ötztal sowie auf die angelaufene Mobilitätsstrategie Ötztal 2030. Jakob Wolf als Bürgermeister von Umhausen ergänzte dazu: „Es sind nicht nur die bösen Touristen, auch wir verursachen viel hausgemachten Verkehr.“

Zweieinhalb Stunden wurde im Stadtsaal unter Beifall und gegen Zwischenrufe sehr emotional diskutiert. In seinem Schlusswort meinte Gerd Estermann, dass es in Zukunft nicht möglich sei, den Tourismus wie bis jetzt fortzusetzen. Das Pitztal sei zu spät gestartet und habe zu wenig Marketing betrieben – „ich bin nicht gegen den Tourismus, aber wir müssen das Niveau halten und nicht mehr und mehr fordern“.

„Es braucht Fortschritt und Mut sowie Verantwortung statt Polemisierung“, gab sich Seilbahner Jack Falkner zum Schluss versöhnlich in Richtung der Gegner.

„Wir brauchen touristische Innovationen“, sprach Gebi Mair bereits angefahrene Projekte wie das Steinbock-Zentrum in St. Leonhard oder das Regionalwirtschaftliche Programm Pitztal an.

Und Jakob Wolf bestätigte, dass „wir natürlich über die Änderungen im Tourismus nachdenken müssen“. Allerdings brauchen die Pitztaler auch etwas wie die Gletscherfusion– „nur wegen der schönen Worte werden sie nicht im Tal bleiben“.

Zitate vom TT-Forum

Jakob „Jack" Falkner, Seilbahner : „Natürlich wünscht man sich bei einem Projekt Erfolg. Wir reden von einer Riesenchance. Müssen wir uns dafür schämen, wenn es uns gut geht? "

„Ausgegangen ist alles von den Fake News, dass ein Gipfel gesprengt würde. Wäre ich in Wien oder München daheim, hätte ich dann wohl auch geklickt."

Gerd Estermann, Umweltaktivist: „Es sind die verhängnisvollen Seil- und Seilbahnschaften, die diesen Raubbau möglich machen. Diese Arroganz und Unverfrorenheit bringt die Leute dazu, die Petition zu unterschreiben."

„Zurzeit verdienen die am meisten, die am meisten Natur kaputtmachen. Die Berge gehören uns allen."

Jakob Wolf, ÖVP-Klubobmann: „Arroganz? Seilbahn­kaiser? Unsere Seilbahner haben ihre Erlöse wieder im Tal investiert und Arbeitsplätze geschaffen."

„Ich wünsche mir ein sachliches UVP-Verfahren. Die Pitztaler brauchen etwas — nur mit schönen Worten werden sie nicht im Tal bleiben. Ich persönlich bin für das Projekt."

Gebi Mair, Klubobmann Grüne: „150.000 Unterschriften darf man nicht abtun, davon sind — schätze ich — 50.000 aus Tirol. Zum Stellenwert: 7500 Tiroler können eine Volksabstimmung einfordern."

„Ich persönlich empfehle den Projektwerbern — in deren eigenem Interesse —, ein kleineres Projekt einzureichen."

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