Blick von Außen

350 Jahre Universität Innsbruck: Feiern — und Gedenken

Das Adler-Ehrenmal vor dem Hauptgebäude wurde heuer von Künstler Wolfgang Flatz umgestaltet.
© Thomas Boehm / TT

Die Universität Innsbruck hat sich im Jubiläumsjahr offen und selbstkritisch ihrer Geschichte gestellt.

Von Dirk Rupnow

Die Universität Innsbruck hat es sich im nun langsam zu Ende gehenden Jubiläumsjahr nicht leicht mit ihrer Geschichte gemacht. Vielmehr hat sie sich erneut intensiv mit dem Medizinstudenten Christoph Probst beschäftigt — allerdings ohne ihn für die heutige Innsbrucker Universität vereinnahmen zu wollen, vielmehr um die NS-Involvierung der Universität und vieler ihrer Angehörigen zu thematisieren. Denn Probst war als Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose" vom damaligen Rektor, dem Geologen Raimund von Klebelsberg, zynischerweise noch am Tag seiner Hinrichtung mit den Geschwistern Scholl, am 22. Februar 1943, „dauernd vom Studium an allen deutschen Hochschulen ausgeschlossen" worden.

Probst war mit seiner Studentenkompanie zum Studium nach Innsbruck abkommandiert, als Sophie und Hans Scholl an der Universität München beim Verteilen von Flugblättern festgenommen wurden. Bei sich trugen sie ein Manuskript für ein weiteres Flugblatt von Christoph Probst. In Innsbruck fühlte er sich isoliert. Etwa zwei Wochen vor seinem Tod schrieb er in einem Brief: „In Innsbruck ist es nicht ganz leicht zu leben. Es fehlt mir halt ein naher Mensch, ein wesensverwandter oder auch nur geistig verwandter Mensch." Er starb im Alter von 23 Jahren, als Vater von drei kleinen Kindern, und wäre heuer am 6. November 100 Jahre alt geworden. Klebelsberg wurde bei Kriegsende zwar seines Amtes enthoben, schon 1949 aber voll rehabilitiert und er konnte bis zu seiner Emeritierung 1958 lehren.

Die Spuren des 1938 im ideologischen Übereifer an der Stirnseite der Aula angebrachten und 1945 stillschweigend wieder demontierten und kurzerhand übertünchten Hitler-Mosaiks von Hubert Lanzinger wurden nach Sondierungsbohrungen des Denkmalamts in ein Mahnmal verwandelt. Es wäre ein fatales Signal gewesen, sie ein weiteres Mal zu verdecken und zu verdrängen.

Christoph Probst, Mitglied der Widerstandsgruppe „Weiße Rose“, wurde noch am Tag seiner Hinrichtung vom damaligen Rektor Raimund Klebelsberg der Universität verwiesen.
© picturedesk

Detailliert untersucht wurde auch die Ehrungspraxis der Universität nach 1945: Zahlreiche ehemalige Nazis wurden von ihr geehrt, durchaus im Wissen um deren Funktionen im „Dritten Reich". Auf der Website wurden die Fälle sichtbar gemacht und zur Diskussion gestellt, die heute nicht mehr als ehrungswürdig gelten können. Bei der neuen, etwa 2000 Seiten umfassenden Universitätsgeschichte wurde ein deutlicher Schwerpunkt auf das 20. Jahrhundert mit seinen beiden Diktaturen in Österreich und deren lang anhaltenden Folgen sowie ganz allgemein der Verschränkung von Wissenschaft

Universität und Politik / Gesellschaft gelegt. Opfer wie auch Täter wurden zu benennen und dokumentieren versucht.

In der Öffentlichkeit am sichtbarsten ist aber wohl der Umgang mit dem so genannten „Ehrenmal" der Universität vor dem Hauptgebäude am Innrain bzw. Christoph-Probst-Platz.

Das vom bekannten Tiroler Architekten Lois Welzenbacher geplante und 1926 errichtete Kriegerdenkmal ist zwar keine Hinterlassenschaft des Nationalsozialismus, atmet aber mit dem burschenschaftlichen Wahlspruch „Ehre — Freiheit — Vaterland" einen Geist, mit dem die Universität sich kaum mehr (schon längst nicht mehr!) ohne Weiteres identifizieren kann, baut ihr heutiges Selbstverständnis doch auf Offenheit und Internationalität, Kooperation und Diversität.

Die Enthüllungsfeier 1926 war eine Manifestation des Deutschnationalismus der Innsbrucker Professoren und Studenten, schon bei der Errichtung durften „nur Deutsche" involviert werden. Die beiden kleinen Gedenktafeln für Christoph Probst bzw. zwei Befreiungstheologen, die in Innsbruck studiert hatten und in San Salvador 1989 ermordet wurden, 1984 bzw. 1990 markant in den dreieckigen Sockel eingeschnitten, versuchten bereits eine Umdeutung, konnten aber das Monument insgesamt kaum in Frage stellen.

Daher hat die Universität Innsbruck anlässlich ihres 350-Jahr-Jubiläums nach einem geladenen Wettbewerb den Vorarlberger Künstler Wolfgang Flatz mit einer künstlerischen Intervention am Denkmal beauftragt — als nach außen hin sichtbares Zeichen eines offenen und selbstkritischen Umgangs mit der eigenen Geschichte. (Die weiteren, nicht realisierten Einreichungen wurden übrigens vorbildlich dokumentiert und veröffentlicht.)

Natürlich kann man das jetzt realisierte Projekt unterschiedlich beurteilen, man sollte es allerdings nicht zu eindimensional lesen. Die weiße Rose zu Füßen des Adlers bleibt offen für verschiedene Deutungen („sub rosa"), lässt sich wohl nicht auf die studentische Widerstandsgruppe, deren Mitglied Christoph Probst war, festschreiben. In blutroten Lettern sind aber Fragen formuliert, die ehrlicherweise an Begriffe, die über die Zeiten hinweg unterschiedlich gebraucht und verstanden wurden und auch heute ja keineswegs eindeutig und unumstritten sind, gestellt werden müssen: „Welche Ehre? Welche Freiheit? Welches Vaterland?" Die Mitglieder der „Weißen Rose" hatten ein anderes Verständnis von Freiheit als diejenigen, die die Errichtung des Ehrenmals in Auftrag gegeben und es eingeweiht haben.

Die von Flatz hinzugefügte Rose und die Fragen leisten geradezu exemplarisch, was von einer künstlerischen Intervention zu erwarten ist: Sie lässt das Ursprungsobjekt intakt, irritiert aber und verändert die Perspektive, wirft Fragen auf und stellt in Frage, ohne respektlos zu sein, ohne zu verunstalten oder gar die Weltkriegstoten zu entehren, wie von einigen Kritikern behauptet wurde. Die bisherigen Interventionen im Gedenken an Christoph Probst und die beiden Jesuiten werden weder überdeckt noch zum Verschwinden gebracht, es besteht noch nicht einmal ein Widerspruch zu ihnen. Was könnte allerdings einer Universität angemessener sein, als Fragen aufzuwerfen, zudem in der Öffentlichkeit, sichtbar für alle, und zu einem Diskurs einzuladen?

Damit ist auch klargestellt, dass die verschiedenen Initiativen für die kritische Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Aspekten der Innsbrucker Universitätsgeschichte im Jubiläumsjahr keinesfalls einen Schlussstrichcharakter haben sollen — ganz im Gegenteil.

Zu häufig in der Geschichte sind Angehörige der Universität — Lehrende wie Studierende — nicht dem gerecht geworden, was Absolventen heute bei Sponsionen und Promotionen geloben müssen: ihr Wissen und Können in sozialer Verantwortung einzusetzen, zum Abbau von Irrtum und Vorurteilen beizutragen und sich um eine Kultur der geistigen Freiheit und Toleranz zu bemühen — obwohl sie früher auch schon Menschlichkeit gegen alle, Redlichkeit und Gerechtigkeit gelobt haben.

Neben der Reflexion von Mit-/Täterschaft und Versagen bleibt daher die Erinnerung an die wenigen wie Christoph Probst und seine Freunde wichtig, die sich für „Humanität — Freiheit — Demokratie" eingesetzt haben, wie es auf der 1984 angebrachten Gedenktafel am „Ehrenmal" formuliert ist. Sie gemahnen uns, wie entscheidend es für Demokratie und Menschenrechte ist, dass Einzelne Verantwortung übernehmen, Solidarität üben und persönlichen Mut zeigen. In Zeiten, in denen Demokratie und Menschenrechte wieder vermehrt in Frage gestellt werden, ist das besonders wichtig.

Zur Person

Dirk Rupnow ist Professor für Zeitgeschichte und Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät an der Universität Innsbruck. Und er ist der Herausgeber der zweibändigen, 2000-seitigen Universitätsgeschichte.