Wie es nach Wahl weitergeht: Ein Chaos-Brexit ist nicht vom Tisch
Am Donnerstag entscheiden die Briten über ihre Zukunft. Das bestimmende Thema ist dabei der Brexit. Ob und wie die Briten aus der EU austreten, ist nach wie vor unklar.
Von Martin Trauth/AFP
Brüssel, London – Die Briten wählen – wieder einmal. Noch ist unklar, ob die Parlamentswahl am Donnerstag Klarheit beim Brexit bringen wird. Auch ein chaotischer EU-Austritt ist noch nicht vom Tisch. Wie es nach dem Urnengang weitergehen könnte:
Wie ist die Lage beim Brexit?
Nach dem Brexit-Referendum von 2016 hatten die EU und Großbritannien ein 535 Seiten starkes Austrittsabkommen ausgehandelt. Es legt unter anderem die finanziellen Verpflichtungen Londons gegenüber der EU sowie die künftigen Rechte der Bürger beider Seiten fest. Doch dreimal scheiterten bisher Versuche, das Abkommen im britischen Unterhaus zu ratifizieren. Der eigentlich für Ende März dieses Jahres geplante Brexit musste deshalb mehrfach verschoben werden und soll nun mit 31. Jänner 2020 erfolgen.
Ist es wahrscheinlich, dass Großbritannien doch noch in der EU bleibt?
Die Labour Party will – sofern sie an die Macht kommt – das Abkommen mit Brüssel neu verhandeln und den Wählern in einem Referendum vorlegen. Dabei soll es auch die Möglichkeit geben, für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU zu stimmen. Doch derzeit sieht es nach einem Sieg der konservativen Tories von Premierminister Boris Johnson aus, der den Brexit um jeden Preis durchziehen will.
Wie ginge es unter den Tories weiter?
Wenn der Austrittsvertrag im Unterhaus und im EU-Parlament angenommen wird, würde am 1. Februar eine Übergangsphase bis Ende 2020 beginnen. In dieser Zeit wäre Großbritannien kein EU-Mitglied mehr, bliebe aber noch im Binnenmarkt und in der Zollunion. Diese Periode wollen beide Seiten nutzen, um die künftigen Beziehungen und insbesondere ein Freihandelsabkommen auszuhandeln. De facto müssten beide Seiten EU-Diplomaten zufolge im Oktober fertig sein, damit das Abkommen vor Jahresende kommenden Jahres ratifiziert werden und rechtzeitig in Kraft treten kann.
Reicht die Zeit dafür aus?
In einer Frist von lediglich ein paar Monaten hat die EU noch nie ein Freihandelsabkommen mit einem Drittstaat verhandelt. Beim CETA-Abkommen mit Kanada dauerten die Gespräche sieben Jahre, bei Singapur acht. Die Ratifizierung geht schnell, wenn es um ein reines Handelsabkommen geht. Hier muss auf EU-Seite nur das Europaparlament zustimmen. Geht es aber auch um Bereiche wie Dienstleistungen, Finanzgeschäfte, Daten- oder Investitionsschutz, könnte auch das Grüne Licht der nationalen – und je nach Mitgliedstaat – sogar regionaler Parlamente nötig sein. Das kann Jahre dauern.
Könnten die Briten die Übergangsphase verlängern?
Ja, der Austrittsvertrag sieht dies ausdrücklich vor. Demnach kann der Termin einmal um entweder ein oder zwei Jahre verlängert werden – also bis Ende 2021 oder Ende 2022. Entscheiden müsste die britische Regierung dies aber bereits bis Ende Juni kommenden Jahres, also nur wenige Monate nach dem Start der Verhandlungen. Johnsons Konservative haben eine Verlängerung in ihrem Wahlprogramm ausdrücklich ausgeschlossen.
Ist ein Abkommen bis Ende 2020 realistisch?
„Der Deal müsste dann ziemlich einfach ausfallen“, sagt Fabian Zuleeg vom European Policy Centre in Brüssel. „Keine Dienstleistungen, keine sehr kniffligen Themen“ oder Streitfragen wie Fischerei. „Ein reines Freihandelsabkommen bis Ende 2020 ist nur möglich, wenn die Briten auf alle Änderungen bei Dingen wie Sozialstandards verzichten“, sagt auch ein EU-Diplomat. Doch ob das Abkommen dann durch das Unterhaus kommt, ist fraglich.