Polens Opernmädchen im Minirock
Mit dem Rührstück „Halka“ von Stanisław Moniuszko präsentiert das Theater an der Wien Polens große Nationaloper. Bei uns ist sie kaum bekannt. Jetzt kann man erleben, warum das so ist.
Von Stefan Musil
Wien –Es dreht sich die Drehbühne. Diesmal in Koproduktion mit dem Teatr Wielki in Warschau, der polnischen Nationaloper. Das Gekreisel öffnet Räume in der Kulisse von Boris Kudlicka, die ein Hotel aus den 1970er-Jahren zeigt. Hier findet diesmal das Schicksal der Halka statt. Das irritiert hierzulande nicht weiter, weil man die Oper, in der Zweitfassung 1858 uraufgeführt, außerhalb Polens kaum kennt. Dort liebt man das Bauernmädchen, das der Edelmann Janusz schwängert, doch zugunsten einer guten Partie stehen lässt. Nur Halkas Vertrauter Jontek versucht sie von ihrer sinnlosen Liebe abzubringen, weil auch er sie liebt.
So weit die Grundkonstellation und damit zu den Pluspunkten des Abends, der zwei der großen Opernstars Polens aufbot: Expressiv und ungustiös brutal gestaltete Bariton Tomasz Konieczny den Janusz und Tenor Piotr Beczała gab mit geschmeidiger Schmelzintensität den Gegenbuhler Jontek. So blieb also die stimmkräftig, aber eindimensional von Corinne Winters gestemmte Halka auf der Strecke. Eher brachial-knallig werkte dazu Łukasz Borowicz am Pult des ORF Radio-Symphonieorchester Wien, während der Arnold Schoenberg Chor durchaus gefiel.
Man erlebt jedenfalls einen herzhaften Schinken in bemüht abgetakelter Siebzigerjahre-Verpackung. Moniuszko spielte mit „Halka“ dabei auf den galizischen Bauernaufstand von 1848 an, verlegte die Handlung aber ins späte 18. Jahrhundert. Man befindet sich in Podhale, dem Almenvorland der Tatra. Heute ist dort Polens Skiregion. Vielleicht hat das Regisseur Mariusz Trelin´ski, künstlerischer Leiter des Teatr Wielki, und Kostümbildnerin Dorothée Roqueplo animiert, den männlichen Hochzeitsgästen in Glockenhosen allesamt blonde Hansi-Hinterseer-Perücken aufzusetzen. So wie auch die Mädchen wie die Twiggys durch die Kulisse wetzen. Denn nicht Bauern und Adel, sondern Servierpersonal und Partyvolk stehen sich diesmal gegenüber.
Getanzt wird viel, und oft muss man schmunzelnd an Fernsehballett-Einlagen denken. Disco-Gehopse zu Klassik ist natürlich nicht neu. Dabei nennt man Moniuszko gern den Franz Schubert Polens. Doch während Schubert seine unendlichen Melodien gesponnen hat, sucht Moniuszko, apart romantisch mit italienischen Einschlägen, eher unendlich nach ihnen und kommt nach wohlklingenden Anläufen nur selten ans Ziel. Das ist dann jedoch herzlich schmalzig, wenn Halka zu Orgelklang und Betgesang am Ende ins Wasser geht.
Trelin´ski rollt die Sache auch noch im Rückblick auf, aber nach kurzer Zeit kennt man sich im kreiselnden und hopsenden Twiggy-Paradies ohnehin nicht mehr aus. Offenbar wollte er „Halka“ regietheatermäßig aufpimpen. Mag sein, dass es in Warschau aufregt, wenn das liebste Opernmädchen des Landes auf offener Bühne eine Fehlgeburt erleidet und mit blutigen Schenkeln ins Wasser gehen muss. Immerhin hat Polen, neben Nordirland und einigen Zwergstaaten, als eines der wenigen EU-Länder Abtreibung verboten.
Ansonsten bot der Abend reichlich modernistisch transpirierendes Regiebemühen, das die Sache letztlich aber nicht überzeugender machte.