Skispringen

Rechtssicherheit für Lukas Müller: Sturz am Kulm war ein Arbeitsunfall

Lukas Müller vor seiner Schicksals-Schanze: Am Kulm stürzte der Kärntner am 13. Jänner 2016 schwer.
© imago

Kürzlich erlebte der Kärntner Ex-Skispringer Lukas Müller, seit der Skiflug-WM 2016 in Bad Mitterndorf auf den Rollstuhl angewiesen, eine Bescherung: Sein Sturz wird als Arbeitsunfall gewertet, der 27-Jährige ist abgesichert.

Von Florian Madl

Innsbruck, Hallein — Fast vier Jahre dauerte es, bis Lukas Müller am 13. Dezember 2019 den erlösenden Bescheid in Händen hielt: „Ihr Unfall vom 13.1.2016, den Sie als Dienstnehmer erlitten haben, wurde als Arbeitsunfall anerkannt", stand im Schreiben der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Angesichts des Datums sah sich Müller zum humorvollen Kommentar veranlasst: „Die 13 hat auch etwas Gutes für mich."

Doch humorvoll klang der dreifache Juniorenweltmeister aus Kärnten nicht immer, denn die vergangenen Jahre waren von allerhand Fragezeichen geprägt. Die physischen: Wird Müllers Training nach dem Bruch des sechsten und siebten Halswirbels je von Erfolg gekrönt sein? Antwort: „Ja, auch wenn ich für mich teilweise keine Erklärung für die vielen Fortschritte habe." Zuletzt bestieg die Kämpfernatur den kleinen Barmstein über Hallein. Andere würden 20 Minuten hinauf brauchen, „ich mit Hilfe von Händen und Krücken eine Stunde". Seine Bilder von Sprüngen am Trampolin machten bereits im Internet die Runde — verheißungsvolle Aussichten für den Kärntner.

Quälende Unsicherheit

Quälender schien die Unsicherheit, wie sich denn seine Zukunft gestalten würde. Die Frage erhob sich, ob denn die Tätigkeit als Vorspringer am Kulm als Dienstverhältnis gewertet werden könnte:

Lukas Müllers Wanderung auf den Kleinen Barmstein: „Ein Gesunder braucht 20 Minuten, ich eine Stunde.“
© Instagram/Müller

Der Österreichische Skiverband wertete seinen Sturz in Bad Mitterndorf (2016) als Freizeit­unfall, was lediglich Einmalzahlungen durch die Unfallversicherungen (u. a. FIS, ÖSV) zur Folge hätte. Vorspringer Müller, der damals als Stützpunktathlet 100 Euro/Tag verdient hätte, hoffte hingegen auf eine lebenslange Absicherung im Zuge eines Arbeitsunfalls. Sein Credo: „Vorspringer machen eine Veranstaltung erst möglich, sie sind ein elementarer Teil davon." Bis zuletzt hatte er bereits 20.000 Euro an Anwaltskosten und über 100.000 Euro an direkten oder indirekten Kosten durch die Folgen zu tragen.

Müller sieht sich als Vorreiter

Am vergangenen Freitag erreichte ihn der Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (AUVA) und sorgte für Erleichterung. Müller: „Das Höchstgericht hat im Mai geurteilt, Vorspringer gehören angemeldet. Die Entscheidung, gemeinsam mit der Sportgewerkschaft younion zum Verwaltungsgericht zu gehen, war letztendlich von Erfolg gekrönt." Der 27-Jährige sieht sich ein Stück weit auch als Vorreiter: „Ich habe Rechtssicherheit für mich, die anderen Sportler in Österreich und die Verbände, das wollte ich."

Klaus Leistner, der mit der Angelegenheit betraute Generalsekretär des Österreichischen Skiverbands (ÖSV), sprach indes von einer „Einzelfallentscheidung": Man werde weiter dafür Sorge tragen, dass alle entsprechend ihrer jeweiligen Funktion versorgt seien. Allerdings will sich der Jurist keine Neuregelung der bisherigen Gepflogenheiten vorstellen: „Es kann sicher nicht sein, dass künftig alle Vorläufer und Vorspringer angestellt werden. Sportveranstaltungen sind sonst nicht mehr durchführbar." Leistner verwies darauf, dass die Entscheidung von zwei Rechtsinstanzen unterschiedlich bewertet worden wäre.

Doch wie ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel würde auch er eine eindeutige Judikatur begrüßen. „Wir werden das Urteil akzeptieren. Aber es wäre wünschenswert, künftig Rechtssicherheit zu haben", meinte das Verbands­oberhaupt. Hintergrund: Ein Sportgesetz war bereits in der Ära des Ex-Vizekanzlers Heinz-Christian Strache in Planung, derzeit liegt es in der Schublade ...

Müller-Anwalt: "Von Einzelfall zu sprechen ist verfehlt"

Nach den Aussagen von Leistner meldete sich am Mittwoch Andreas Ermacora, Anwalt in der von Müller vertretenen Kanzlei, per Mail bei der TT.

"Es kann keine Rede davon sein, dass zwei Instanzen unterschiedlich bewertet hätten. Tatsache ist, dass der Verwaltungsgerichtshof, der als oberste Instanz in solchen Verwaltungsangelegenheiten für die Rechtssicherheit und Rechtseinheit in Österreich zu sorgen hat, ganz klar ausgeführt hat", so Ermacora, der in seiner Stellungnahme wie folgt ausführte:

Lukas Müller war als Vorspringer in den Betrieb des Veranstalters (Austria Ski WM und Großveranstaltungs GmbH) eingebunden. Diese Einbindung führte zu einer Beschäftigung des Vorspringers in persönlicher Abhängigkeit zum Veranstalter. Er und die anderen Vorspringer müssen alle Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Wettkämpfer am Wettkampf teilnehmen können. Zur Erreichung dieses Ziels hat der Veranstalter eine aus Infrastruktur (u.a. Schanze) und den beteiligten Personen gebildete betriebliche Organisation geschaffen, von der insb. in Anbetracht der einzuhaltenden Wettkampfregeln, der Anweisungen des Rennleiters und Vorspringerchefs ein extremer Anpassungsdruck für den eingebunden Vorspringer Lukas Müller bestand.

Für Ermacora muss der ÖSV zukünftig dieser richtungsweisenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Rechnung tragen müssen und die Vorspringer sehr wohl als in den Betreib eingebundene Personen pflichtversichern müssen. Von einem Einzelfall zu sprechen sei verfehlt.

Chronologie des Falls Lukas Müller

13. Jänner 2016: Bei widrigen Verhältnissen stürzt Lukas Müller am Kulm als Vorspringer der Skiflug-WM in Bad Mitterndorf. Die Folge: Verrenkungsbruch des 6. und 7. Halswirbels, inkomplette Querschnittlähmung. Der ÖSV geht von einem Freizeitunfall aus, Müller von einem Arbeitsunfall (lebenslange Absicherung, u. a. Pension).

12. Oktober 2017: Bescheid der Kärntner Gebietskrankenkasse, Vorspringen als Dienstnehmertätigkeit zu werten.

10. November 2017: Beschwerde des Österreichischen Skiverbands.

April und Juli 2018: Verhandlungen am Bundesverwaltungsgericht.

25. Oktober 2018: Entscheidung des BVWG: Der Beschwerde wird stattgegeben, eine Dienstnehmertätigkeit verneint, Revision erhoben.

2. Mai 2019: Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs: Vorspringer sind Arbeitnehmer.

29. August 2019: Rechtskraft der Entscheidung.

13. Dezember 2019: Zustellung des Bescheids der AUVA (siehe Bild oben).