Impeachment bis Ibiza: Skandale sorgten für turbulentes Politik-Jahr
Großbritannien liefert einen beispiellosen Eiertanz um den EU-Austritt, in Österreich sprengt ein verdeckt aufgenommenes Video die Regierung und in den USA steht ein US-Präsident zum erst dritten Mal in der Geschichte vor einem Amtsenthebungsverfahren. Eine Auswahl der größten Skandale und Kuriositäten des Politik-Jahres 2019.
Von Matthias Sauermann
Wien, Washington, London — "Ich möchte allerdings, dass Sie mir einen Gefallen tun". Dieser Satz des Jahres 2018 dürfte in die Geschichte eingehen. So sprach US-Präsident Donald Trump wörtlich seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenski an und drängte ihn zu Ermittlungen gegen seinen innenpolitischen Herausforderer Joe Biden. Das Amtsenthebungsverfahren gegen den US-Präsidenten in der Affäre ist das i-Tüpfelchen eines Jahres voller Skandale, Skandälchen und Kuriositäten. Gerade auch hierzulande wird 2019 wohl nicht so schnell vergessen werden.
Donald Trump, seine "Gefallen" und das Unausweichliche
Seit Donald Trump die US-Präsidentschaft im Jänner 2017 übernahm, rangiert er beim jährlichen Rückblick über die Skandale ganz oben. Kein Wunder, liefert der Republikaner dafür doch fast täglich Material. Zeuge davon sind alleine schon die Unwahrheiten und Lügen, die der 73-Jährige von sich gibt. Die Washington Post führt dazu eine Statistik, aktuell liegt Trump bei mehr als 15.000 Unwahrheiten — und die Kurve zeigt steil nach oben.
Selbst für die Verhältnisse Trumps dürfte 2019 dennoch ein ganz spezielles Jahr gewesen sein. Da forderte er einmal, die USA sollten Dänemark Grönland abkaufen — und zog dafür Spott auf sich. Dass die Politikprominenz von dem Republikaner nicht allzuviel hält, wurde übrigens wieder einmal auf eine seltene Art deutlich: In einem vermeintlich unbeobachteten Moment lästerten die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien, Dänemark und Kanada offensichtlich über Trump. Und wurden dabei gefilmt.
Noch hält sich Trump jedoch weiter im Amt, auch ein wenig schmeichelhafter Bericht von US-Sonderermittler Robert Mueller in der Russland-Affäre, der zu Beginn des Jahres veröffentlicht wurde, konnte daran nichts ändern. Der US-Präsident wurde darin explizit nicht entlastet, dennoch stellten Trump und seine Unterstützer den Bericht als Freispruch dar — und konnten so einen großen Teil der Öffentlichkeit überzeugen.
Es wäre aber nicht Trump, wenn er nicht doch einen weiteren Anlass liefern würde, um ihn zu belangen. Ein Whistleblower meldete Ende des Sommers, der US-Präsident habe sich in einem Telefonat mit dem ukrainischen Staatspräsident besorgniserregend verhalten. Eine Untersuchung im Kongress folgte, an deren Ende nun ein Amtsenthebungsverfahren steht. Trump soll seine Macht missbraucht und dann die Ermittlungen darüber behindert haben. Das Amtsenthebungsverfahren wirkt zwar seit Amtsantritt Trumps eigentlich unausweichlich, und ist dennoch historisch: Erst zwei Präsidenten vor Trump mussten sich damit auseinandersetzen. Ein ereignisreiches US-Politikjahr 2020 ist garantiert. Auch weil im Herbst die Wahlen anstehen.
Party auf Ibiza, neue Regierungen und ein starker Präsident
Um die großen Skandale zu verfolgen, musste man heuer jedoch gar nicht so weit schweifen. Oder doch ein wenig — zumindest nach Ibiza. Dort wurden der spätere Vizekanzler Heinz-Christian Strache und sein Klubchef Johann Gudenus gefilmt, wie sie in einer feucht-fröhlichen Nacht aus dem Nähkästchen plauderten und — soweit das veröffentlichte Videomaterial zeigt — einer vermeintlichen Oligarchennichte nicht nur Regierungsaufträge gegen Spenden versprachen, sondern auch über die Beeinflussung von Medien sinnierten und ein System präsentierten, wie man Spenden am Rechnungshof vorbei schleusen könne. Um nur Auszüge zu nennen. Die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht das Video im Frühjahr und kein Stein bleibt auf dem anderen.
Binnen kürzester Zeit tritt Vizekanzler Heinz-Christian Strache zurück. Bundeskanzler Sebastian Kurz beendet die Zusammenarbeit mit der FPÖ, weil sich diese nicht von Innenminister Herbert Kickl trennen will. Der Bundespräsident entlässt Kickl auf Vorschlag von Kurz. Die mit neuen Ministern erst kurz zuvor angelobte ÖVP-Minderheitsregierung von Kurz wird von der Opposition mit Stimmen der FPÖ abgewählt.
Und so schlägt die Stunde von Bundespräsident Alexander Van der Bellen. Als Krisenmanager eilt er von einem Termin zum anderen und muss eine Verfassungskrise verhindern. Schließlich gelobt er eine Regierung aus parteiunabhängigen Experten an, mit der ersten Bundeskanzlerin an der Spitze. Im Kabinett von Brigitte Bierlein befinden sich gleich viele Ministerinnen wie Minister — aus dem Skandal heraus ein Signal an die Zukunft. Vielen Österreichern wurde hier erstmals bewusst, wie wichtig der Bundespräsident im politischen System Österreichs eigentlich ist. Und die Stärke nahm Van der Bellen wohl für die neuen Regierungsverhandlungen mit. Nach dem Durchbruch zu Jahresende stehen die Zeichen nun auf Türkis-Grün.
Spenden, Spesen, Casinos: Der tiefe Fall von Strache und der FPÖ
Die Freiheitlichen kämpfen indes, auch sie müssen sich fortlaufend mit Krisenmanagement beschäftigen. Nach dem Rücktritt von Heinz-Christian Strache ist die Affäre für die FPÖ längst nicht gegessen. Erst steht Strache durch die Vorzugsstimmen ein EU-Mandat zu, das dieser nach lautstarken Diskussionen nicht annimmt. Dann erschüttert kurz vor und nach der Nationalratswahl eine Serie an neuen Enthüllungen und Skandalen die Partei.
Da wäre einmal die Spesenaffäre, die der FPÖ auch bei Nationalratswahl wohl am meisten weh tut. So kommt heraus, dass Strache neben seinem Gehalt über ein großzügiges Spesenkonto bei der Partei verfügt haben soll. Außerdem kassierte seine Ehefrau Philippa Strache ebenso Gelder von der Partei — obwohl sie immer vorgab ehrenamtlich als Tierschutzbeauftragte tätig zu sein.
Dann setzt der FPÖ die Casinos-Causa zu. So kommt heraus, dass die FPÖ ihren Mann Peter Sidlo im Aufstand der Casinos platziert und im Gegenzug dazu der Novomatic ein Entgegenkommen bei Lizenzen versprochen haben sollen. Mittendrin wieder Heinz-Christian Strache, aber auch andere sollen informiert gewesen sein. Auch Mitglieder des Regierungspartners, worauf Chatprotokolle hindeuten — was die ÖVP jedoch bestreitet. Sidlo wird Ende des Jahres aus dem Vorstand abberufen.
Und schließlich wird Ende des Jahres kolportiert, dass Strache bzw. die FPÖ Geldspenden in Bargeld angenommen haben könnte — möglicherweise aus Osteuropa. Fotos von Taschen voller Bargeld machen die Runde. Eine ehemalige EU-Abgeordnete der FPÖ räumt Berichten zufolge ein, als Geldbotin aktiv gewesen zu sein und Geld zur FPÖ gebracht zu haben. Die Partei weist zurück, jemals Geld erhalten zu haben.
Zu all diesen Affären laufen die Ermittlungen, die Unschuldsvermutung gilt für alle Beteiligten — aber dennoch schaden sie der FPÖ in der öffentlichen Wahrnehmung. Dem Absturz bei der Neuwahl folgt ein weiterer Absturz in den Umfragen. Aktuell liegen die Freiheitlichen demnach hinter den Grünen. Und Strache? Der wird aus der FPÖ ausgeschlossen, drei Unterstützer in der Wiener Partei spalten sich ab und gründen eine neue Partei. Die "DAÖ" könnte mit Strache an der Spitze in Wien antreten und der FPÖ Stimmen streitig machen. Selbst eine Anklage Straches wäre dafür laut Gründer Karl Baron kein Hindernis.
Der Brexit, eine endlose Geschichte — und dann kam Boris
Ganz oben auf der Liste der Kuriositäten einzureihen ist indes das Schauspiel, das unsere (Noch)-EU-Partner in Großbritannien im vergangenen Jahr vorführten. Der eigentlich geplante Austritt der Briten aus der Staatengemeinschaft wollte und wollte nicht gelingen, die Abgeordneten und die Regierung lieferten sich einen politischen Kleinkrieg nach dem anderen. Etliche verschobene Austrittstermine und einen Regierungschef später sind die Briten bis dato noch immer dabei.
Tragische Figur in diesem Schauspiel war die britische Premierministerin Theresa May. Diese handelte ein Austrittsabkommen mit der EU aus, ohne die Opposition miteinzubeziehen. Als dann durch eine ohne Not angesetzte Neuwahl die eigene Mehrheit flöten ging, sah sich May mit der Situation konfrontiert, dass das Parlament partout ihr Abkommen nicht ratifizieren wollte. Die einen wollten einen härteren Brexit, die anderen einen weicheren — und manche gar keinen oder ein neues Referendum. Das führte zu einem Patt und May schleppte ihren Deal von einer verlorenen Abstimmung zur nächsten. Nur um dann doch aufzugeben und ihr Amt zur Verfügung zu stellen.
Nachfolger Boris Johnson schlug erst einmal in die selbe Kerbe. Auch er versprach einen Brexit zum nächsten vereinbarten Zeitpunkt — und auch er biss sich am Parlament die Zähne aus. Gleich wie May setzte auch Johnson eine Neuwahl an, anders als May gelang ihm jedoch Ende des Jahres nun eine überzeugende Absolute. Und der Weg für den Brexit dürfte schlussendlich doch geebnet sein. Das Ende des Schauspiels bedeutet das freilich nicht: Die Briten und die EU müssen in einer Übergangsphase bis Ende 2020 ein umfassendes Abkommen über die künftigen Beziehungen schließen. Gelingt das nicht, geht das Spiel mit neuen Terminen und verschobenen Fristen wohl von neuem los.