„The Farewell“: Wahre Lügen gegen die letzte Last
In „The Farewell“ inszeniert eine Familie einen bittersüßen Abschied von der todkranken Oma. Und Lulu Wang eine großartige Tragikomödie.
Innsbruck –Auf wahren Lügen basiert heutzutage vieles. Die Unwahrheit, um die es in „The Farewell“ geht, ist aber eine Frage von Leben und Tod. Regisseurin Lulu Wang zeigt am Ende ihres autobiografischen zweiten Langfilms ein Foto ihrer eigenen Oma. Auch wenn diese Authentifizierung der Erzählung mittlerweile recht inflationär verwendet wird: Hier passt sie.
Großmutter, auf Mandarin Nai Nai genannt, hat Krebs im Endstadium. Doch die Familie will ihr diese Hiobsbotschaft verheimlichen – in China weder illegal noch unüblich. Um gebührend Abschied zu nehmen, wird kurzerhand eine Hochzeit erfunden. So können auch die in den USA und Japan verstreuten Kinder und Enkel noch einmal Adieu sagen. Hier kommt die Hauptfigur Billi ins Spiel. Die 30-jährige New Yorker Künstlerin ist, wie die Regisseurin selbst, als Kind in die Staaten gekommen. Ihr Chinesisch ist miserabel geworden und anders als ihre Eltern ist sie durch und durch amerikanisiert. Deshalb hat sie auch ein Problem mit der Unehrlichkeit gegenüber ihrer geliebten Oma. Doch ihr Vater und seine zwei Geschwister bleiben dabei: Man müsse Nai Nai diese letzte Last abnehmen, das sei ihre Pflicht. Das geht gar bis zur Fälschung von Befunden. Drei Generationen einer Großfamilie versammeln sich zum vermeintlich glücklichen Anlass der Hochzeit von Billis Cousin mit seiner japanischen „Verlobten“, die den ganzen Film über kein Wort versteht. Alle unterdrücken ihre Trauer und spielen für die resolute Großmutter (erfrischend: Shuzhen Zhao) ein Spiel. Doch durch die Lüge kommen ganz nebenbei auch viele Wahrheiten der Angehörigen zum Vorschein.
Es geht in „The Farewell“ um die endgültige Wahrheit des Todes. Und auch um die Zerrissenheit eines modernen multikulturellen Lebens zwischen zwei Heimaten. Trotz oder gerade durch all die ernsten Themen schafft es Lulu Wang aber, ihren Figuren einen feinen Humor in den Mund zu legen. Inmitten der traurigen Geschichte blitzen auch immer wieder kurze Momente einer schwarzen Komödie auf. Etwa wenn am Grab des vor Jahren gestorbenen und genauso mit einer „guten Lüge“ verabschiedeten Opas eine Zigarette niedergelegt wird. Jetzt dürfe er ja wieder, er sei ja schon tot.
Als Billi überzeugt die amerikanische Rapperin Awkwafina, die u. a. bereits in „Crazy Rich Asians“ und zuletzt auch in „Jumanji: The Next Level“ vor der Kamera stand. Ihr Golden-Globe-nominiertes doppeltes Spiel zwischen Trauer und Freude ist auch ein Sprachspiel zwischen Billis eigenem English und dem ihr fremd gewordenen Mandarin. Eine grandiose Szene am Krankenbett der Oma bringt das auf den Punkt: Während Billi mit dem jungen Arzt auf Englisch über die tödliche Prognose spricht, versucht Nai Nai sie mit dem Herrn Doktor zu verkuppeln. Wie „The Farewell“ diesen bittersüßen endgültigen Abschied erzählt, ist großartig. Denn „manchmal sind die wichtigsten Dinge, die in einer Familie passieren, die unausgesprochenen“. (maw)
Info
The Farewell. Ohne Altersbeschränkung. Derzeit im Kino.
In Innsbruck: Leokino.