372.000 Kinder in Österreich von Armut und Ausgrenzung betroffen
Armut und soziale Ausgrenzung sind auch hierzulande im reichen Österreich gegenwärtig. Hunderttausende Familien und Kinder sind davon bedroht.
Von Serdar Sahin
Wien –Österreich zählt zu den reichsten Ländern der Welt. Dennoch sind 1,512.000 Menschen oder 17,5 Prozent der Bevölkerung hierzulande laut Statistik Austria armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. 372.000 Kinder und Jugendliche leben in ausgrenzungsgefährdeten Haushalten. Insgesamt hat sich die Zahl der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten hierzulande in den letzen zehn Jahren um 187.000 Personen verringert.
Das höchste Armutsrisiko haben Langzeitarbeitslose. Drei Viertel von ihnen (76 Prozent) sind davon betroffen. Auch Ausländer sind besonders gefährdet. Ein wesentlicher Faktor ist auch die Bildung. Verfügt eine Person nur über einen Pflichtschulabschluss, beträgt das Risiko der Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung 27 Prozent. Personen mit einem mittleren Schul- oder Lehrabschluss sind hingegen unter den Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdeten geringer vertreten als im Durchschnitt.
In Ein-Eltern-Haushalten Lebende sind zu 44 Prozent von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen, Familien mit mindestens drei Kindern zu 28 Prozent. Auch Alleinlebende, vor allem Frauen, sind öfter betroffen: 32 Prozent der alleinlebenden Frauen und 28 Prozent der Männer, die nicht hauptsächlich von einer Pension leben, sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Unter den Pensionsbeziehenden sind alleinlebende Frauen mit 29 Prozent ebenfalls überdurchschnittlich betroffen. Alleinlebende Männer mit Pension liegen mit einem Armuts- oder Ausgrenzungsrisiko von 17 Prozent hingegen im Durchschnitt.
Ein Viertel (25 Prozent bzw. 372.000 Personen) aller Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten sind Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren. Das Risiko sozialer Ausgrenzung liegt für diese Altersgruppe mit 21 Prozent über dem der Gesamtbevölkerung. Für 14 Prozent der unter 20-Jährigen aus ausgrenzungsgefährdeten Haushalten ist Sparen bei der Ernährung Teil ihrer Lebensrealität. Fünf Prozent leben in aus Kostengründen unzureichend beheizten Wohnungen und fast jeder dritte junge Mensch (31 Prozent) in einer überbelegten Wohnung.
Für Kinder mit drohender Armutsgefahr ist es häufig nicht leistbar, Freunde zum Spielen oder Essen einzuladen (7 gegenüber 1 Prozent in Haushalten ohne Ausgrenzungsgefährdung). Auch Freizeitaktivitäten wie Sport- oder Musikkurse, die mit Kosten verbunden sind, oder kostenpflichtige Schulausflüge können seltener genutzt werden. Das kann aber nicht nur finanzielle Gründe haben, sondern auch andere: Wenn etwa Eltern ganztags arbeiten, hat das Kind niemanden, der es zu Freizeitaktivitäten begleitet bzw. abholt.
Was kann man als Einzelner da tun? Die kirchliche Hilfsorganisation Caritas rät dazu, „achtsam in der eigenen Umgebung zu sein“ – der Familie könnte schon geholfen sein, wenn man einen Fahrtdienst pro Woche übernimmt.
„Zeit schenken, etwa als Freiweillige/r in den Caritas Lerncafés“, heißt es weiter, denn „Bildung ist der Schlüssel aus der Armut und Kinder aus bildungsfernen Familien benötigen stärkeren Rückhalt und Unterstützung von außen“. Die Organisation empfiehlt zudem, sich politisch zu engagieren – auf „strukturelle Probleme aufmerksam machen, um Kinderarmut zu verhindern“.
„Nicht wenige Menschen in Österreich wissen leider ganz genau, wie sich Armut anfühlt. Auch zu Weihnachten“, sagt Caritas-Präsident Michael Landau. „Alleinerzieherinnen, kinderreiche Familien, Menschen ohne Arbeit, Mindestpensionisten. Oft stehen sie am Ende des Monats vor der Frage, ob sie jetzt die Wohnung heizen oder noch etwas zum Essen einkaufen sollen“, erklärt Landau weiter. Und: „140.000 Menschen leben in Wohnungen, die sie nicht angemessen warm halten können. Für Kinder heißt das oft: aufwachsen in feuchten, schimmeligen Räumen, Verzicht auf Ausflüge und Schulprojektwochen, keine Freunde, die eingeladen werden können. Eine Konsequenz ist, dass von Armut betroffene Menschen nicht zuletzt stärker Gefahr laufen, zu vereinsamen.“
Landau appelliert daher: „Lassen wir diese Menschen nicht im Stich. Jede und jeder kann einen Beitrag leisten. Indem wir hinsehen, statt wegzusehen. Indem wir Augen und Herzen öffnen für die Menschen um uns, vielleicht in unserer Nähe.“
Von der künftigen Regierung wünscht sich Landau, „die Würde des Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, wenn wir über Armutsbekämpfung in Österreich sprechen. Der Zugang zur Bildung ist wichtig, gerade auch zur Vermeidung von Armut.“
Die Caritas versucht, mit verschiedenen Projekten das Leiden der Menschen zu lindern. So betreibt die Organisation zwölf Mutter-Kind-Häuser, die 447 Wohnplätze bieten. In 36 Sozialberatungsstellen wurden im Vorjahr 65.000 Menschen betreut. In 54 Lerncafés werden rund 2100 Kinder und Jugendliche unterstützt – 860 Kinder und Jugendliche stehen noch auf der Warteliste. 830 Freiwillige engagieren sich dafür. 42 Einrichtungen mit 2137 Schlafplätzen für Obdachlose werden geboten.
Wer spenden will, kann das unter www.caritas.at/armut tun. Dort ist es möglich, mit 20 Euro ein Babypaket zu spenden, mit 30 Euro kann man einen Heizkostenzuschuss für eine Familie übernehmen.