Deutscher Abfahrts-Star Dreßen: „Leben oft in einer Neidgesellschaft“
Deutschlands Ski-Star Thomas Dreßen fährt erstmals nach seinem Kitz-Sieg 2018 auf der Streif. Der 26-Jährige spricht im TT-Interview über Bekanntheit, verpflichtende Airbags, Olympia und seine Liebe zu Österreich.
Herr Dreßen, wie sehr hat sich Ihr Leben nach dem Kitz-Sieg 2018 verändert?
Thomas Dreßen: Komplett! Früher bin ich zuhause in Scharnstein (OÖ), wo ich lebe, mit dem Hund spazieren gegangen oder hab’ Semmeln geholt. Das hat keinen interessiert. Mittlerweile werden Fotos gemacht, ob ich den Haufen von meinem Hund wegräume. Das ist kein Spaß.
Klingt nach den Schattenseiten der Bekanntheit.
Dreßen: Das sind Sachen, an die du dich gewöhnen musst. Irgendwann bekommst du einen Tunnelblick, siehst die anderen Leute nicht mehr. Aber man vermisst hier und dort die Privatsphäre. Wenn ich mit der Freundin ins Kino oder was essen gehe, dann will ich dort alleine sein und nicht angesudert werden.
War das mal ein Problem?
Dreßen: Manche haben ein Gefühl dafür, wann sie aufdringlich sind, andere nicht. Wenn ich gerade beim Essen bin und einer kommt von der Seite und fragt nach einem Foto: Dann sage ich, dass ich beim Essen bin, also nein. Ab und zu frage ich mich: Denken die Leute eigentlich nach, wenn sie jemanden in so einer Situation fragen? Ich käme nie auf die Idee. Aber das gehört dazu. Es hat alles seine guten und schlechten Seiten.
In Kitzbühel wird das Interesse an Ihrer Person auch wieder groß sein. Es ist Ihr erster Einsatz hier nach dem Abfahrtserfolg. Wie groß ist die Vorfreude?
Dreßen: Sehr groß. Ich bin ja auch letztes Jahr in Kitzbühel gewesen und habe zugesehen. Ich war zwar gerne an dem Ort, wo ich schon gewonnen habe, aber ich hatte zugleich ein schlechtes Gefühl, weil ich nicht mitfahren durfte. Ich freue mich extrem darauf, wieder am Start zu stehen.
Sie sind nach dem Sieg in Lake Louise einer der Top-Favoriten, zur 80. Auflage warten auf den Sieger 100.000 Euro Rekordpreisgeld, Wie sehen Sie das?
Dreßen: Man müsste eher überlegen, ob das Preisgeld richtig gestaffelt ist. Ein zweiter und dritter Platz ist auch viel wert, meiner Meinung nach sollte das prinzipiell auch bei anderen Rennen mehr entlohnt werden. Wenn man sich ansieht, was der Erste kriegt und was dann dem Zweiten und Dritten bleibt, dann ist das teilweise ein Witz. Vor allem dann, wenn es vom Sponsor mehr Geld gibt als vom Veranstalter.
Die schlechter Klassierten sollten mehr Geld sehen?
Dreßen: Ja! Es ist alles so eng, du bist gleich mal raus aus den Top 15. Ich mache Skifahren nicht wegen des Geldes, aber ich habe super Partner und bin vom Glück gesegnet. Es geht aber nicht allen so.
Sie sprechen Partner wie Ihren Kopfsponsor an. Seit dem tragischen Unfall, bei dem auch Ihr Vater 2005 in Sölden ums Leben kam, haben Sie eine emotionale Bindung zu dem Ort ...
Dreßen: Ja, ich habe mit Sölden eine spezielle Geschichte. Aber das hat mit dem Sponsor nichts zu tun. Ich kenne Jack Falkner schon recht gut, wir haben immer wieder Kontakt. Sölden und Red Bull gehören für mich beide dazu. Dafür bin ich unheimlich dankbar.
Sie trainieren ja auch oft in Sölden. Sehen Sie sich die Unfallstelle noch ab und zu länger an?
Dreßen: Wir sind davor viel in Sölden gewesen und danach auch. Ich komme immer gerne hierher. Wenn du den Platz siehst, wo das passiert ist, hat es einen bitteren Beigeschmack. Aber ich habe auch viele Bekannte und Freunde dort, die mir sehr am Herzen liegen und mir ein positives Gefühl geben.
Sie sind in Mittenwald aufgewachsen, leben nun in Scharnstein. Wie fällt Ihr Vergleich Bayern/Oberösterreich aus?
Dreßen: Oh, die sind anders.
Das heißt?
Dreßen: Mir kommt es so vor: In Deutschland leben wir oft in einer Neidgesellschaft. Das finde ich schade. In Scharnstein freut sich jeder für den anderen. Da geht der Nachbar zum anderen hin und fragt, ob er ihm behilflich sein und was Gutes tun kann. Sei es beim Rasenmähen oder beim Umbau der Terrasse. Bei uns habe ich manchmal das Gefühl: Weil die Leute es selbst nicht haben können, gönnen sie es dem anderen auch nicht. Das finde ich schade und bringt doch nichts. Beim Skifahren ist es nicht anders. Klar möchte ich Erster werden, aber wieso kann ich mich nicht für den anderen mitfreuen? Es geht um den respektvollen Umgang.
Wie viel Österreich steckt denn in Thomas Dreßen?
Dreßen: Ich bin schon neun Jahre in Neustift und Saalfelden in die Schule gegangen. Ich mag Österreich extrem gerne. Die Leute sind unheimlich nett, da will ich gar nicht mehr wegziehen.
Was bedeutet Ihnen dabei der Titel des besten deutschen Abfahrers aller Zeiten (3 Weltcupsiege, Anm.)?
Dreßen: Als ich das gehört habe, war ich ehrlich gesagt sehr negativ überrascht (lacht). Ich habe mir gedacht: Das kann ja nicht sein, dass das bisher noch keiner fertiggebracht hat, mehr als dreimal zu gewinnen. Deutschland war noch nie eine Abfahrtsnation. Aber ich habe schon geglaubt, dass da mal einer erfolgreicher war.
Das also war nie Ihr Ziel?
Dreßen: Das interessiert mich nicht. Ich fahre für mich, es soll nicht bei drei Siegen bleiben. Ich habe andere Ziele.
Eines davon ist Olympia, das 2026 wieder in Europa (Italien) ausgetragen wird. In Tirol wurden die Winterspiele ebenso wie in München abgelehnt. Wünschen Sie sich Olympia zurück in Deutschland?
Dreßen: Freilich. Es wäre eine gute Geschichte, wenn man Olympia nach Deutschland oder Österreich holt. Man muss wieder zurück zu den Wurzeln. Dorthin, wo der Wintersport herkommt. Man kann es immer negativ sehen. So wie in Tirol: Wenn man teilweise die Gründe gegen die Kandidatur hört, greift man sich ja ans Hirn. Wenn da mit dem Bau einer Gondelbahn argumentiert wird – die gehört ja sowieso gebaut.
Wurden die Leute falsch informiert?
Dreßen: Die Leute schauen zu viel auf das Negative. Ich könnte heute auch hergehen und sagen: So ein mieser Tag. Aber ich bin lieber froh, dass ich überhaupt hier in Kitzbühel am Start sein kann. Die Leute müssen mehr auf das Positive schauen.
Haben Sie mit dieser Einstellung so ein starkes Comeback geschafft (Kreuzbandriss Ende 2018, Anm.)?
Dreßen: Man muss selbst einschätzen, wie viel Risiko man eingeht. Das geht nur über Training. Ich bin nicht der Typ, der Kopf und Kragen riskiert. Ich will die Dinge langfristig angehen und das abrufen, was ich im Moment kann. Das kann auch nur für den 20. Rang reichen. Wichtig ist, dass die Geschwindigkeit mein Wohnzimmer ist.
In Wengen ging im Training bei Ihrer Fahrt der Airbag auf. Wie stehen Sie dazu, dass der für alle verpflichtend wird?
Dreßen: Die Sicherheit ist der falsche Ort zum Sparen. Am Anfang haben wir den Airbag kaufen müssen – und für mich war es nie ein Thema, den nicht zu kaufen. Für den Weltcup-Läufer ist er zugänglich, aber es sollte genauso gut für Europacup- und Nachwuchsläufer frei zugänglich sein. Warum ist seine Sicherheit weniger wert als die meine?
Ist dafür die FIS zuständig?
Dreßen: Schwierig zu sagen. Wir machen ja immer noch einen Risikosport. Das wirst du nie ausschalten können. Aber man muss ehrlich zu sich selbst sein: Wie viel Risiko kannst du eingehen? Das muss jeder für sich abwägen.
Das Gespräch führte Roman Stelzl