„Jojo Rabbit“: Fanatismus macht blind
Taika Waititis „Jojo Rabbit“ ist der provokanteste Film der Oscar-Saison. Ein jüdisches Mädchen ist darin der moralische Anker inmitten der übersteigerten Nazi-Farce.
Von Marian Wilhelm
Innsbruck –Wenn Hitler tanzt, wird einem unwohl im Kino. Wenn Propaganda-Archivbilder jugendliche Massen beim Hitlergruß zeigen, die mit den Beatles „Komm, gib mir deine Hand“ fordern, steigert sich das Unwohlsein. „Jojo Rabbit“, der diese Woche auch im Land der Täter in die Kinos kommt, ist der provokanteste Film der Saison. Zuletzt wurde er für sechs Oscars nominiert, darunter auch als bester Film. Seit seiner Weltpremiere im vergangenen Herbst in Toronto sorgt er für „Darf man das?“-Kontroversen. Gerade in Europa.
Für den Autor und Regisseur Taika Waititi mit maorisch-jüdischer Herkunft war die „Anti-Hass-Satire“ ein lang gehegtes Herzensprojekt. Er selbst parodiert darin Hitler. Aber der Reihe nach.
Titelheld des Films ist nicht Adolf, sondern der 10-jährige Johannes Betzler (Roman Griffin Davis), ein fanatischer kleiner Nazi. Er gibt dem Film die naiv-unschuldige Perspektive, mit der „Jojo Rabbit“ nur in ein, zwei Szenen bricht.
Es ist eine Teenager-Komödie in der fiktiven Nazi-Stadt Falkenheim, irgendwann kurz vor der Befreiung 1945. Als imaginärer bester Freund steht Jojo niemand Geringerer als der Führer persönlich zur Seite. Seine Mutter dagegen macht kein Hehl aus ihrer Verachtung für die Nazis. Recht bald nach einer herrlich übertriebenen Sequenz im Jungvolk-Lager mit einem zynisch-verrückten, moralisch ambivalenten Hauptmann Klenzendorf (großartig: Sam Rockwell) bekommt der Film seinen ethischen Anker.
Denn zur Überraschung Jojos versteckt sich auf seinem Dachboden ein jüdisches Mädchen. Elsa führt Jojos kindisch-lächerliche antisemitische Propaganda mit Galgenhumor ad absurdum. Während Jojo in Konflikt mit seinem blinden Fanatismus und damit auch mit Fantasie-Adolf kommt, rücken die Front und die Befreiung unaufhörlich näher.
„Jojo Rabbit“ verfolgt ein Konzept, bei dem alles schiefgehen kann. Gerade für Augen, die in ernster Aufarbeitung der NS-Geschichte geschult sind. Der moralische Einsatz ist extrem hoch. Die Leichtigkeit, mit der Waititi in bewusster Verfremdung vom Leben im Totalitarismus erzählt, irritiert. Es lässt sich trefflich streiten, ob es nun Sakrileg oder Satire ist, Krieg und Holocaust als schreckliche Kehrseite der Propaganda nicht zu zeigen. Dem Bilderverbot speziell für den Holocaust steht die Verpflichtung gegenüber, die Vernichtung als Kern des Totalitarismus nicht zur Leerstelle werden zu lassen. Komik-König Jerry Lewis hat einst seinen Film „The Day the Clown Cried“ über Slapstick im Todeslager bis zum Jahre 2024 ins Archiv verbannt, während Charlie Chaplin, Ernst Lubitsch und Mel Brooks bis heute für ihre parodistische Entzauberung totalitären Wahns gefeiert werden. Auch „Jojo Rabbit“ bedient sich der Klamauk-Komik eindimensional überzeichneter Nazi-Figuren. Sein imaginierter Hitler funktioniert dabei nur bedingt. Dass dieser im Lauf des Film zusehends an Bedeutung verliert, ist nur konsequent.
Was „Jojo Rabbit“ seine Ernsthaftigkeit zurückgibt, sind die beiden weiblichen Nebenfiguren. Scarlett Johansson beweist als Jojos alleinerziehende Mutter starkes komödiantisches Talent, das sich in ihren zwei, drei größeren Szenen vor Roberto Benignis Vaterfigur in „Das Leben ist schön“ nicht zu verstecken braucht.
Unfassbar fein und stark spielt aber die 19-jährige Thomasin McKenzie ihre Elsa. Gänzlich frei von Pathos ist sie das tragische Element im Film, das durch all die Propaganda-Farce einen flüchtigen Blick aufs schrecklich Reale freigibt. Mit Wucht und fast im Alleingang macht Elsa die Nazi-Komödie „Jojo Rabbit“ zum emotionalen Schwergewicht.