Oscar-Verleihung 2020: Männlich, weiß, alt hofft ...
In der Nacht auf Montag werden in Los Angeles die Oscars verliehen. Kritik am Stimmverhalten der Academy gibt es bereits davor.
Von Joachim Leitner
Innsbruck – Die Academy of Motion Pictures Arts and Science vergibt nicht nur alljährlich die Oscars. Sie ist derzeit auch Bauherr. Seit mehr als vier Jahren wird am Wilshire Boulevard in Los Angeles nach einem Entwurf von Renzo Piano am neuen Academy Museum gearbeitet. Repräsentativ soll es werden – und zeitlos-zukunftstauglich. Vorne eine mit Blattgoldkacheln geschmückte Fassade, hinten eine riesige Kugel aus Stahl und Glas. Der verdankt der Bau bereits jetzt seinen Namen: „Death Star“ – nach dem Sternenzerstörer aus den „Star Wars“-Filmen. Rund 350 Millionen Euro soll das Prunkstück kosten. Ursprünglich veranschlagt war knapp die Hälfte. Finanziert wird der Bau vornehmlich von namhaften Spendern: Steven Spielberg etwa soll einen sechsstelligen Betrag überwiesen haben. Im Laufe das Jahres soll die neue Heimat der Akademie eröffnet werden.
Keine 15 Fahrminuten von dieser Baustelle entfernt liegt die zweite. Im Dolby-Theatre am berühmt-berüchtigten Hollywood Boulevard findet in der Nacht auf Montag die 92. Oscar-Verleihung statt.
Kritik an der Zusammensetzung der stimmberechtigten Mitglieder gibt es seit Jahren. 2016 rückte die Kampagne „OscarSoWhite“ die fehlende Diversität der Akademie in den Fokus.
Im Zuge der #MeToo- und Time’sUp-Bewegung wurde mangelnde Geschlechtergerechtigkeit zum Thema. Zudem wurde das hohe Durchschnittsalter der berufenen Mitglieder beklagt. Kurzum: Die Akademie ist zu männlich, zu weiß und zu alt, um zeitgemäße Entscheidungen zu treffen.
Besserung wurde gelobt. Und das Bemühen um mehr Vielfalt kann man der Akademie nicht absprechen. Neue Mitglieder – vielfach Vertreter von Minderheiten – wurden berufen. Allein 2019 gab es rund 800 Neuzugänge – gut die Hälfte davon Frauen.
Wirklich geändert hat sich das Stimmverhalten der mittlerweile rund 9000 Akademie-Mitglieder bislang aber nicht. Obwohl – das unterstreicht die Academy nicht ohne Stolz – 2020 mit 64 für einen Oscar nominierten Frauen ein neuer Rekord aufgestellt wurde. Vor den öffentlichkeitswirksamsten Kategorien macht der Fortschritt aber weitgehend Halt. Mit Greta Gerwigs „Little Women“ schaffte es nur ein von einer Frau inszeniertes Werk unter die neun Anwärter auf den Oscar für den besten Film. Bei der Vorauswahl der besten Regisseure wurde Gerwig genauso übergangen wie Lulu Wang, deren hochgelobtes Debüt „The Farewell“ ebenso wie Lorene Scafarias „Hustlers“ komplett ohne Nominierungen blieb.
Dabei wäre die Nominierung Gerwigs ein historisches Ereignis gewesen: Die 36-Jährige wäre die erste Frau der Oscar-Geschichte gewesen, die zum zweiten Mal um den Regie-Oscar rittert. 2017 war sie glücklos für „Lady Bird“ nominiert. Prämiert wurde bislang erst eine Regisseurin. Kathryn Bigelow gewann 2010 für „The Hurt Locker“.
Mit Cynthia Erivo („Harriet“) hat es 2020 auch in den Schauspielkategorien nur eine Schwarze auf die Nominiertenliste geschafft. Preischancen hat die Britin nicht. Gerade die Darstellerpreise scheinen heuer schon seit Langem ausgemacht: Joaquin Phoenix dürfte für „Joker“ gewinnen, Renée Zellweger für „Judy“ – und als Nebendarsteller sind Brad Pitt („Once Upon A Time ... in Hollywood“) und Laura Dern („Marriage Story“) gesetzt.
Im Rennen um den Preis als bester Film müsste sich Sam Mendes’ Weltkriegsfilm „1917“ durchsetzen. Auch für den Regie-Preis gilt Mendes als Favorit. Altmeister Martin Scorsese („The Irishman“), Quentin Tarantino („Once Upon a Time ... in Hollywood“) und Todd Philips („Joker“, mit elf Preischancen der meistnominierte Film) haben Außenseiterchancen. Einzig „Parasite“-Macher Bong Joon Ho könnte Mendes gefährlich werden. Nicht zuletzt, weil die Academy nach der Kritik an ihren Nominierungen doch noch beweisen möchte, dass sie besser ist als ihr Ruf.
Trotzdem: Wirkliche Spannung will im Vorfeld der Preisverleihung nicht aufkommen. Branchenblätter wie Variety üben sich angesichts von soviel Berechenbarkeit seit Wochen in Galgenhumor: Stell dir vor, es gibt Oscars – und niemanden interessiert es. Obwohl der Filmjahrgang 2019 ein hervorragender war. US-Sender ABC, der die Gala samt Schaulaufen auf dem roten Teppich übertragen wird, hat den erneuten Rückgang der Einschaltquoten bereits eingepreist.
Ab 2021, berichtete kürzlich die New York Times, sollen die Oscars als Fernsehshow neu gedacht werden. Eine Baustelle dürfte der Akademie also erhalten bleiben.